Paul Hindemith
Complete Sonatas für Viola Solo
Luca Ranieri (Viola)
Hindemiths Anweisung zum IV. Satz seiner Solosonate für Viola op. 25 Nr. 1, „Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache“, nimmt Luca Ranieri nicht für bare Münze. Wild spielt er schon, rasend schnell auch, aber diese Wildheit wirkt doch gezähmt, und Klangschönheit ist für ihn keinesfalls nebensächlich.
Mag Hindemith zu Lebzeiten ein Bürgerschreck gewesen sein, der das Konzertpublikum mit Dissonanzen, motorischem Spiel und seiner Abkehr von der Romantik provozierte, Ranieri spielt seine Musik klangschön, natürlich und mit einer melodischen Schönheit, wie es nur einem in der Belcanto-Tradition aufgewachsenen Italiener gelingen kann. Doppelgriffen und arpeggierten Akkorden nimmt er alle Härte, lässt sie weich an- und ausklingen. Er spielt die schnellen Passagen virtuos, doch lässt er immer der Musik Raum zum Atmen.
So gelingt ihm der zweite Satz „Mäßig schnell, mit viel Wärme vorgetragen“ der 1919 komponierten Sonate op. 11 Nr. 5 besonders eindrucksvoll. Im Scherzo dieser Sonate zeigt er, wie wirkungsvoll der Bratschenspieler Hindemith die charakteristischen Klangfarben seines Instruments einsetzte: Ranieri arbeitet das geistvolle Frage- und Antwortspiel plastisch durch das Gegenüber von hoher und tiefer Lage heraus. Nicht die Modernität betont also Ranieri in diesem Jugendwerk Hindemiths, vielmehr dessen herbe, oft schroffe, im langsamen Satz aber auch lyrische, nach innen gerichtete Schönheit.
Hindemith stellte das Handwerk, das Für-sich-Erklingen der Musik dem romantischen Ausdrucksmusizieren entgegen. Ranieri nimmt dies ernst, aber nicht begrenzt auf den technischen Aspekt des Spiels, sondern vor allem auch auf die Ästhetik: Ihm sind Klangschönheit, Fasslichkeit und eine genaue Artikulation wichtig, die stets den einzelnen Ton in einen größeren Zusammenhang stellt.
Die Sonata 1937 erklingt, auf diese Weise vorgetragen, als objektiv wirkendes, absolutes Spiel, zeitlos wie Bachs Solosonaten und -partiten. Der Hörer vergisst ob der Schönheit dieses Spiels, dass dies moderne Musik mit Dissonanzen und freier Tonalität ist, und spürt doch, dass diese Schönheit stets gefährdet über einem Abgrund wandelt, der sich damals in Form der nationalsozialistischen Diktatur öffnete.
Luca Ranieri setzt mit dieser Einspielung einen Maßstab. Sein Violaspiel ist befreit von den Klischees, die mit dem Violaklang verbunden werden, also der Begrenzung auf das elegische, melancholische Genre. Er zeigt, dass die Viola ein universales Instrument ist, das die ganze Bandbreite der Gefühle, von höchster Lebendigkeit bis hin zu größter Innigkeit, darstellen kann. Aber über die Bedeutung für die Entwicklung des Violaspiels hinaus löst diese Einspielung ebenso ein ästhetisches Versprechen der Neuen Musik ein: dass Dissonanzen auch „schön“, nämlich eine klangliche Bereicherung sein können. Trotz des etwas puristischen und nicht fehlerfreien CD-Beiheftes verdient diese Einspielung fünf Punkte.
Franzpeter Messmer