Rosario Scalero
Complete Music for Violin and Piano
Gran Duo Italiano: Mauro Tortorelli (Violine), Angela Meluso (Klavier)
Obschon international als Pädagoge gesucht und lange Jahre tätig (zu seinen Schülern in den USA zählten u.a. Samuel Barber, Gian Carlo Menotti, Marc Blitzstein, Ned Rorem, Virgil Thomson und Nino Rota), sind die Kompositionen des Violinisten Rosario Scalero (1870-1954) heute nahezu völlig vergessen.
Die Werke für Violine und Klavier entstanden fast alle in den frühen eurpäischen Jahren bis 1919, das Erbe Brahms’ ist an zahlreichen Stellen unüberhörbar (Scalero hatte die Zeit von 1900 bis 1907 in Wien verbracht), besonders in der kompositionstechnisch vollausgereiften einzigen Sonate d-Moll op. 12 (1910 gedruckt – seine Hauptverleger wurden N. Simrock und Breitkopf & Härtel).
Viele andere Werke für Violine und Klavier sind eher den musikalischen Miniaturen zuzurechnen, etwa die Walzer-Capricen op. 16, aber auch die neun Danze Piemontesi und die zwei Danze Napolitani op. 27, während die dreisätzige kleine Suite nach Domenico Scarlatti und die fünfsätzige Suite im alten Stil op. 15, sozusagen eine spätromantische Sicht auf die Musik des Barock bieten – hier geht es nicht um eine Neudeutung von Vergangenem, sondern auf den sentimental verklärenden Blick.
Substanzvoller, wenn auch gleichfalls stilistisch nicht innovativ sind die Variationenwerke nach Paganini op. 14 und Mozart op. 8 mit umfangreichen Solopassagen für die Violine. Die Drei Stücke op. 17 sind vielleicht Scaleros eigenständigste Komposition – die Betitelungen „Gesang am Meeresstrand“, „Nänie“ und „Bacchanal“ inspirierten ihn zu expressiven Stücken, die bei beachtlicher Kürze kaum mehr für den musikalischen Salon geeignet wären. Die damals unveröffentlicht gebliebenen Capricci op. 2 für Violine solo greifen die Paganini-Tradition auf, nicht ohne auch den Blick zurück bis zu Scarlatti zu werfen.
Der Geiger Mauro Tortorelli und die Pianistin Angela Meluso präsentieren Scaleros Werke mit viel Engagement und klangschönem Ton. Vor allem violinistisch ist die Musik von beachtlichem technischen Anspruch, und Tortorelli erweist sich als sensibler, bei Bedarf hochvirtuoser Interpret, sachkundig unterstützt von Meluso, die nicht minder den spätromantischen Ton der Musik auskostet; gerade die vielfältigen Anschlagsnuancen auf dem nicht näher benannten Flügel hat wesentlichen Anteil an der rundum gelungenen Erkundung dieser Musik – immer wieder bietet sie fast harfenglockenartig-klare Farben, die der Musik eine fast ätherische Dimension verleihen. Aufnahmetechnisch bleiben keine Wünsche offen, der Klang ist klar und frei, dennoch von unaufdringlicher Präsenz, die Balance vorzüglich gelungen. Die Bookletinformationen zu den Werken sind leider allzu knapp – bei einer Veröffentlichung von Raritäten immer besonders bedauerlich.
Die erste der drei CDs ist bereits 2014 bei Tactus erschienen, im April und Mai 2020 erfolgte im Centro Studi Musicali Rosario Scalero in Polla (Kampanien) die Komplettierung der Edition, die rechtzeitig zum 100. Geburtstag am 22. Dezember 2020 erscheinen konnte.
Jürgen Schaarwächter