Rosario Scalero

Complete Music for Violin and Piano

Gran Duo Italiano: Mauro Tortorelli (Violine), Angela Meluso (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Brilliant Classics
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 79

Obschon international als Pädagoge gesucht und lange Jahre tätig (zu seinen Schülern in den USA zählten u.a. Samuel Barber, Gian Carlo Menotti, Marc Blitzstein, Ned Rorem, Virgil Thomson und Nino Rota), sind die Kompositionen des Violinisten Rosario Scalero (1870-1954) heute nahezu völlig vergessen.
Die Werke für Violine und Kla­vier entstanden fast alle in den frü­hen eurpäischen Jahren bis 1919, das Erbe Brahms’ ist an zahlreichen Stellen unüberhörbar (Scalero hatte die Zeit von 1900 bis 1907 in Wien verbracht), besonders in der kom­positionstechnisch vollausgereiften einzigen Sonate d-Moll op. 12 (1910 gedruckt – seine Hauptverleger wurden N. Simrock und Breitkopf & Härtel).
Viele andere Werke für Violine und Klavier sind eher den musikalischen Miniaturen zuzurechnen, etwa die Walzer-Capricen op. 16, aber auch die neun Danze Piemon­tesi und die zwei Danze Napolitani op. 27, während die dreisätzige klei­ne Suite nach Domenico Scarlatti und die fünfsätzige Suite im alten Stil op. 15, sozusagen eine spätro­mantische Sicht auf die Musik des Barock bieten – hier geht es nicht um eine Neudeutung von Vergan­genem, sondern auf den sentimen­tal verklärenden Blick.
Substanzvoller, wenn auch gleichfalls stilistisch nicht innovativ sind die Variationenwerke nach Pa­ganini op. 14 und Mozart op. 8 mit umfangreichen Solopassagen für die Violine. Die Drei Stücke op. 17 sind vielleicht Scaleros eigenständigste Komposition – die Betitelungen „Gesang am Meeresstrand“, „Nänie“ und „Bacchanal“ inspirierten ihn zu expressiven Stücken, die bei beacht­licher Kürze kaum mehr für den musikalischen Salon geeignet wä­ren. Die damals unveröffentlicht ge­bliebenen Capricci op. 2 für Violine solo greifen die Paganini-Tradition auf, nicht ohne auch den Blick zu­rück bis zu Scarlatti zu werfen.
Der Geiger Mauro Tortorelli und die Pianistin Angela Meluso präsentieren Scaleros Werke mit viel Engagement und klangschö­nem Ton. Vor allem violinistisch ist die Musik von beachtlichem techni­schen Anspruch, und Tortorelli er­weist sich als sensibler, bei Bedarf hochvirtuoser Interpret, sachkun­dig unterstützt von Meluso, die nicht minder den spätromantischen Ton der Musik auskostet; gerade die vielfältigen Anschlagsnuancen auf dem nicht näher benannten Flügel hat wesentlichen Anteil an der rundum gelungenen Erkun­dung dieser Musik – immer wieder bietet sie fast harfenglockenartig-klare Farben, die der Musik eine fast ätherische Dimension verlei­hen. Aufnahmetechnisch bleiben keine Wünsche offen, der Klang ist klar und frei, dennoch von unauf­dringlicher Präsenz, die Balance vorzüglich gelungen. Die Bookletin­formationen zu den Werken sind leider allzu knapp – bei einer Veröffentlichung von Raritäten immer besonders bedauerlich.
Die erste der drei CDs ist be­reits 2014 bei Tactus erschienen, im April und Mai 2020 erfolgte im Centro Studi Musicali Rosario Sca­lero in Polla (Kampanien) die Kom­plettierung der Edition, die recht­zeitig zum 100. Geburtstag am 22. Dezember 2020 erscheinen konnte.
Jürgen Schaarwächter