Giuseppe Verdi
Complete Ballet Music
Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ivan Repušić
Es war für die italienischen Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts eine fremde, mehrheitlich ungeliebte Pflicht, aber wenn sie ihre Werke an der Pariser Opéra aufgeführt sehen wollten, mussten sie den Stücken eine Ballettmusik beigeben. Rossini und Donizetti konnten sich diesem Zwang ebenso wenig entziehen wie Giuseppe Verdi, der zu vielen seiner Bühnenwerke für die Pariser Aufführung nachträgliche Tanzeinlagen schuf – sofern er sie nicht ohnehin originär für Paris komponierte, wie Jérusalem (1847) oder Les vêpres siciliennes (1855) mit dem allegorischen Ballett Les quatres saisons, das auch als Konzertstück Furore machte.
Immerhin verstand Verdi diese Auflage als künstlerische Herausforderung, einen dramaturgischen Zusammenhang zwischen der umgebenden Opernhandlung und der tänzerischen Einlage herzustellen. Verdis Ballettmusiken wirkten teilweise sogar stilbildend und klingen bei späteren Komponisten nach. Als Choreograf mancher dieser Stücke (etwa Le Trouvère 1857) war in Paris übrigens der renommierte Tänzer Lucien Petipa beteiligt, der Bruder des heute noch berühmten Tanzschöpfers Marius Petipa.
Keiner hat so viele Opernballette für die Pariser Bühne geschrieben wie Verdi: insgesamt sieben, teils ausführliche Stücke. Sogar für den späten Otello, der 1894 in Paris gegeben wurde, lieferte der längst berühmte Meister eine relativ kurze, orientalisch anmutende Tanzeinlage nach. Sie bildet den Auftakt zu der CD-Sammlung mit allen Verdi-Balletten, die der kroatische Dirigent Ivan Repušić mit seinem Münchner Rundfunkorchester eingespielt hat. Repušić hat mit diesem Ensemble über die Jahre ein reiches Verdi-Repertoire mit zahlreichen Aufnahmen erarbeitet. Diese Erfahrung kommt den Ballett-Musiken durchaus zugute. Sie verschmelzen die leidenschaftliche, dramatische Kraft des Melos mit tänzerischer Energie und einem Sinn für musikalische Couleur.
Dies gelingt etwa in den düsteren Hekate-Szenen aus Macbeth (1947), die Repušić dramatisch ausmalt. Das Orchester entwickelt den fahlen, mitunter grell durchzuckten Klang der geisterhaften Musik zu mitreißenden Effekten. Dem Pariser Publikum der Uraufführung, dessen Geschmack eher auf leichtere Kost ansprang, gefielen diese Einlagen zwar nicht, aber Verdi verweigerte eine Änderung des Stücks. Ähnlich war es bei Don Carlos (1867) in Paris: Das von Lucien Petipa gestaltete Ballett fiel zwar zunächst durch und erntete von Théophile Gautier einen herben Verriss, fand aber Zugang zu Programmen von bürgerlichen Salons. Die Umsetzung dieser „Divertissements“ mit dem Münchner Rundfunkorchester besticht durch lebendige Farbigkeit. Das Album rückt die gerne vernachlässigten Opernballette Verdis hörenswert ins Licht.
Rüdiger Krohn