Schnyder, Daniel
Colossus of Sound
Violin Concerto/Symphony No. 4/Trumpet Concerto/African Fanfare
Wer bei dem großspurigen Titel dieser CD etwa an Edgard Varèse oder Glenn Branca denkt, wird gleich bei den ersten Tönen eines Besseren belehrt. Die Musik des 1961 geborenen Amerikaners Daniel Schnyder, die momentan bei großen Orchestern und Festivals wie ein Geheimtipp herumgereicht wird, entpuppt sich als ein recht artiges Sammelsurium aus dem Schatzkästlein abendländischer Musiktradition, gewürzt mit Elementen des Jazz und der lateinamerikanischen Folklore. Dabei erweist sich Schnyder, dessen Ausbildung ihn zum Grenzgänger zwischen Jazz und klassischer Musik prädestiniert, als Anhänger eines neoromantisch gefärbten Klassizismus, der die altehrwürdige Form des Solokonzerts bereitwillig reproduziert, ohne doch wirklich neue Funken aus der Berührung der verschiedenen musikalischen Idiome zu schlagen.
Die beiden Solokonzerte, die mit ihrer Dreisätzigkeit schon rein äußerlich das Verharren in der Tradition zeigen, bleiben harmonisch meist noch hinter Debussy zurück und erinnern in ihrer in den Ecksätzen rastlosen Motorik an den Neoklassizismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Abgegriffene Klischees der Filmmusik finden dabei genauso Verwendung wie domestizierte brasilianische Rhythmen, die sich vor allem in den Finali beifallsheischend aufdrängen. Während das vor sich hin plätschernde Violinkonzert, in dem der Solistin
Kathrin Rabus kaum eine Verschnaufpause vergönnt ist, die Lust am Weiterhören nicht gerade fördert, gibt es im Trompetenkonzert wenigstens einige Momente, die durch die stärkere Nähe zum Jazz ihren Reiz gewinnen. Der Solist Reinhold Friedrich, der einen guten Ruf als Interpret gewichtiger zeitgenössischer Werke genießt, beherrscht das Spektrum zwischen verschmutztem Jazzklang und weichem Balladenton souverän.
Der Eindruck des Beliebig-Konventionellen setzt sich in der 4. Sinfonie mit dem Untertitel Colossus of Sound fort, einem einsätzigen, gut 15-minütigen Werk, das als ein Patchwork kontrastierender Abschnitte erscheint, in dem einzelne Orchestergruppen häufig konzertant hervortreten. Der teilweise monumental auftrumpfende orchestrale Gestus kann nicht über die Dürftigkeit der musikalischen Substanz hinwegtäuschen, die aus spätromantischen Versatzstücken, Folklore und Hollywood-Archaik zusammenbuchstabiert ist. Insofern bildet die African Fanfare, die als Ouvertüre für eine Suite des südafrikanischen Komponisten Abdullah Ibrahim entstand, den würdigen Abschluss dieser CD: Übergossen mit der Soße des großen Orchesters schmecken auch die exotischsten afrikanischen Zutaten wie Fastfood von McDonalds.
Kein Zweifel, Schnyder wird sein Publikum finden, und die NDR Radiophilharmonie mit ihrem Gastdirigenten Kristjan Järvi legen sich mächtig ins Zeug als Anwälte einer Musik, die viele als modern, aber trotzdem schön goutieren werden. Aber man denkt dabei an bessere Vorbilder, an Namen wie Leonard Bernstein und Astor Piazzolla, und ist verstimmt.
Klaus Angermann