Werke von Thorsten Wollmann, Jörg Mainka und Stephan Hodel

Cloud Castle

Sächsische Bläserphilharmonie, Ltg. David Timm

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 76

Erneut begegnet mir die brillante Sächsische Bläserphilharmonie, und diesmal nennt das Booklet 31 Bläser:innen mit Namen, die zur fülligen Klangerzeugung viel Luft brauchen und sich von vier Perkussionisten und hier noch einem Harfenisten und einem Kontrabassisten unterstützen lassen. Hörte ich sie früher (siehe das Orchester 2/2012 S. 79; 5/2015 S. 86; 10/2016 S. 70) mit Erwartbarem in beeindruckenden Interpretationen, so überraschen sie mich jetzt mit anderen Klängen. Denn diese neue CD ist anders. Ein Vorwort des Beihefts berichtet, dem Orchester sei vor vier Jahren Exzellenz bescheinigt und Förderung zugesprochen worden, wofür man sich nun mit Auftragswerken dreier renommierter Gegenwartskomponisten bedanke.
Eine Sinfonia Antiqua von Thomas Wallmann (*1966) eröffnet den Reigen: ein Werk, das in vier Sätzen mit bekannten Bezeichnungen – Chaconne, Pavane, Scherzo und Rondo – an Klassisches anknüpft, aber in jedem Satz einfallsreich die Tür zu Neuem öffnet. Diesem, für den neugierigen Hörer immer noch eingängigen Werk folgt ein hochmodernes Stück von Jörg Mainka (*1962), das ihn als mutigen Experimentator zeigt, der mit klassischen Zitaten – man hört etwa ganze Passagen aus Beethovens Pastorale – und Elementen moderner Klangerzeugung ohne feste Form, aber dennoch erkennbar strukturiert, ein faszinierendes Raumgemälde schafft, das er Cloud Castle nennt und diesem Luftschloss noch einen Kontrabass hinzufügt, dem er gewissermaßen einen musikalischen Kontrapunkt anvertraut. Der unvorbereitete Musikfreund ist beeindruckt von den ungewohnten Klängen. Liest er, was der Komponist im Beiheft zu diesem Werk – dessen erster Satz „Der Augenblick der Erkennbarkeit“ sich auf Italo Calvinos Cosmicomics bezieht und dessen zweiter Satz „Ein Zeichen des Raums“ Walter Benjamin zitiert – schreibt, verirrt er sich leicht in der Komplexität der Gedanken, die sich mit einem Dreieck von Ton-, Zeit- und Luftraum befassen.
Mit dem dritten Werk der CD hat man es leichter. Der Schweizer Komponist Stephan Hodel (*1973) hat in vielen Ausbildungsstätten und Musikzentren in aller Welt studiert, komponiert und musiziert; seine Vita imponiert. In Brasilien – so berichtet das Beiheft – kennt jeder die Legende von Curupira (so der Titel des Werks), dem kleinwüchsigen Beschützer von Tieren und Wald. Angesichts der erschreckenden Zerstörung des Amazonas-Regenwalds schrieb Hodel einen musikalischen Hilferuf zur Rettung unserer Lebens-
grundlagen und benutzte dafür nicht nur Samba-, Bossa-Nova- und Forró-Elemente, sondern man hört auch Anklänge an Heitor Villa-Lobos oder César Guerra-Peixe. So entstand ein aufrüttelndes Gedicht aus Tönen als Aufruf zur Rettung von Natur und Leben!
Wie diese anspruchsvollen Partituren von der Sächsischen Bläserphilharmonie mit Empathie,  Enthusiasmus, aber auch Feinzeichnung der Bläserstimmen in Klang verwandelt werden, ist beispielhaft und man muss die Gedanken ihrer Komponisten nicht kennen – was sie uns sagen wollen, hört man mit den Ohren und dem Herzen…
Diether Steppuhn