Claudio Monteverdi

Rubrik: Bücher
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Die Musik selbst tritt auf, heißt es schon im 1. Kapitel des Buches, eine Musik, die aus der Erfahrung von Liebe und Trauer ihre Macht gewinnt und nicht aus Zahlen. Spätestens hier wird klar, welch einschneidende Zäsur mit dem Orfeo verbunden wird, wo Musik durch Klangeffekte der „Unterwelt“ zu sich selbst kommt, wo der ornamentale Gesang die Künste des traditionellen Tonsatzes bricht; am Anfang war die Sinnlichkeit, so ließe sich der Titel des Buches paraphrasieren. Satztechnische Kunst von Dissonanz und Auflösung, gezeigt am 1. Madrigal des IV. Buches Ah dolente partita, wird dem expressiven Prinzip untergeordnet; so wie auch die Musik der Sprache in ihrer Diktion wie ihrem Inhalt zu folgen hatte. Aber wie hat die Musik damals tatsächlich geklungen und wie wurde sie dargeboten?
Im weiteren Verlauf des Buchs intensiviert der Autor die Frage nach den performativen Aspekten der Partitur mit Ausflügen in die damals neu entstehenden Vortragsbezeichnungen; Fragen der aktuellen Aufführungspraxis bleiben hingegen unbesprochen. Stattdessen hält sich der Autor an die Partitur, die er sehr genau zu lesen versteht, und unternimmt Sichtungen vom Madrigal über die Messe bis zur Oper, die er ausführlich historisch kontextualisiert. Am Beispiel der Missa in illo tempore entdeckt der Autor neue Klangräume mit genauem Zuschnitt auf Monteverdis zukünftigen Arbeitsort Venedig, wobei erstaunlich ist, wie eine rückständige Harmonik in ein neues Modell von Klangarchitektur eingewoben wird, die sich der Diktion der Textverständlichkeit unter der Bedingung des antiphonen Aufführungsraums der Mehrchörigkeit fügt. Das wird in umfassender Weise an der Marienvesper vorgeführt: Klangraum, dramaturgische Abfolge der Stücke und Textausdeutung, gepaart mit kompositorischer Kompetenz, sind in den Dienst des Ausdrucks gestellt. Das Mitdenken des Raume, die Wirkung des Klangs als Darstellung von Affekten, etwa dem „genere concitato“ aus dem Combattimento, liest der Autor aus der Partitur heraus und stellt es als sinnliche Ereignisse dem reinen Tonsatzdenken gegenüber. Damit ist die Neuzeit eingeläutet und mit ihr die Funktion der Musik als Darstellung von Affekt und Gefühl, die sie bis heute trägt. Das bestätigen auch die beiden späten Opern. Gerade in L’Incoronazione di Poppea erfolgt der Nachweis von klanglicher Sinnlichkeit, gar Erotik, die sich besonders im Schlussduett ereigne.
Heinemanns Buch wartet mit zahllosen, äußerst lesenswerten analytischen Beispielen auf, die er mit dem emotional repräsentativen Gehalt zu koppeln versteht – was letztlich die große Leistung Monteverdis war. Mit vielen Abbildungen und zudem außergewöhnlich gut geschrieben, ist das Buch sehr empfehlenswert. Eine stichpunktartige Biografie und eine knapp gehaltene kommentierte Bibliografie beschließen es in einer sehr persönlichen Art. Seinen hohen Anspruch, die musikalische Erfahrung als Ausgangspunkt zu wählen, löst der Autor ein.
Steffen A. Schmidt