Leopold, Silke

Claudio Monteverdi

Biografie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Reclam/Carus, Stuttgart 2017
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 65

Silke Leopold hat mit ihren wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten viel zur gegenwärtigen Popularität Claudio Monteverdis beigetragen. Der wiederum war ein wichtiger Motor in der musikgeschichtlichen Umbruchsituation um 1600, als neue Gattungen entstanden, vor allem die Oper, zu der Monteverdi Bedeutendes wie den Orfeo beisteuerte.
Nach ausführlicher Würdigung all seiner Tätigkeiten reisen die Leser mit dem englischen Gesellschafter Thomas Coryat zu den Wir­kungs­­stätten Monteverdis zwischen Mantova, Cremona und Venedig – einem im Vergleich zu seinen Kollegen Orlando di Lasso oder Heinrich Schütz ausgesprochen kleinen geografischen Umkreis. Auf die historischen Situationen in den jeweiligen Städten geht Silke Leopold ausführlich ein: in Cremona auf das Gewerbe des Vaters Baldassare und des Lehrers Ingegneri, in Mantova auf die schwierige Situation am Hofe der Gonzaga, in Venedig auf den interessanten Widerspruch zwischen einer liberalen Republik und einem Monteverdi, der sich mehr und mehr dem Geistlichen verschreibt und spät die Priesterweihe empfängt. Auch Monteverdis Lebensumstände kommen ausführlich zu Wort, so der Tod seiner Frau und die finanziellen Widrigkeiten des alleinerziehenden Vaters von zwei Söhnen.
Dabei kommt das musikalische Werk keineswegs zu kurz. Chronologisch verfolgen die Leser dessen Werdegang: Bereits mit dem noch in Cremona veröffentlichten II. Mad­rigalbuch schrieb sich Monteverdi in die Musikgeschichte ein, durch sein deutlich verändertes Verhältnis zum poetischen Text, den er musikalisch differenziert ausdeutete und nicht kontrapunktisch überwucherte. Die Auseinandersetzung mit dem Gelehrten Artusi zur „Seconda prattica“ wird präzise beleuchtet, die Errungenschaften der frühen Oper zum „recitar cantando“ diskutiert bis zu den Aufführungsarten im Orfeo, der vielfältigen Instrumentierung und den „musikalischen Kostümierungen“. Auf die Rolle der Penelope aus der zweiten Oper Ulisse geht die Autorin ein und verfolgt die Kreation der operngeschichtlich frühen tragischen Heroine. In der letzten Oper schließlich, L’incoronazione di Poppea, schreibt Monteverdi die männliche Hauptrolle (Nerone) erstmalig für eine Kastratenstimme.
Silke Leopolds wissenschaftlicher Ertrag lässt kaum Wünsche offen. Wir haben es hier mit einem vorbildlichen Buch zu tun, in jeder Hinsicht: in den historischen und musikalischen Kontextualisierungen, in den Analysen und nicht zuletzt durch die schönen Abbildungen von Porträts und Faksimiles, etwa aus der Selva morale.
Weniger zur Sprache kommt der eigene, der wissenschaftliche Kontext, etwa die ausgesprochen spannende Monteverdi-Forschung; und auch die intellektuellen Zusammenhänge damaliger Zeit wie die Ausstrahlung der Florentiner Camerata um Giovanni Bardi werden nur am Rande und eher abschätzig erwähnt. In seiner gediegenen Beflissenheit reiht sich das Buch ein in die Heldengeschichtsschreibung, die wunderbar in den Zeitgeist passt.
Steffen A. Schmidt

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support