Bartók, Berg, Bizet und andere

Claudio Abbado & London Symphony Orchestra

Complete Deutsche Grammophon and Decca Recordings

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Grammophon 483 9589, 46 CDs
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 84

Claudio Abbado hat ein riesiges, epochenumspannendes diskografisches Erbe hinterlassen. Seine Konzert- und Opernaufnahmen, die über einen Zeitraum von über 50 Jahren entstanden, lassen sich aus vielen Perspektiven betrachten. Eine Box mit 43 CDs (plus drei Bonus-CDs) erinnert nun an die lange Beziehung zum London Symphony Orchestra, dem er von 1979 bis 1987 als Chefdirigent und Musikdirektor verbunden war. Die Gesamtausgabe seiner bei Decca und Deutscher Grammophon erschienenen Aufnahmen geht sogar bis 1966 zurück.
Aus dem Jahr seines Debüts als Gastdirigent des LSO stammen Einspielungen von Auszügen aus Prokofjews Balletten Romeo und Julia und Le Chout. Darin zeigt sich bereits die scharfe Präzision, mit der Abbado sich den Details eines Werks widmete. Orchester und Dirigent merkten rasch, dass sie musikalisch auf einer Wellenlänge waren. Abbado wurde fortan regelmäßig eingeladen, von 1975 bis 1979 war er erster Gastdirigent.
In dieser Edition wird das gemeinsam aufgeführte Repertoire in alphabetischer Reihenfolge der Komponisten präsentiert – von Bartók, Berg und Bizet bis Tschaikowsky, Verdi und Vivaldi. Bemerkenswert sind beispielsweise die Aufnahmen von Chopins Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll und Liszts Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur von 1968, ein frühes Zeugnis von Abbados Künstlerfreundschaft mit der fulminanten Martha Argerich. In den 1980er Jahren fand ein Zyklus von Mozart-Klavierkonzerten mit Rudolf Serkin große Beachtung. Alfred Brendel ist in Schumanns Klavierkonzert a-Moll zu hören, Gidon Kremer als Geigensolist in Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Hörenswert sind ferner Aufnahmen von Kompositionen Ravels – etwa Daphnis et Chloé mit dem London Symphony Chorus, Tzigane mit dem Violinisten Salvatore Accardo oder Shéhérazade mit der Sopranistin Margaret Price.
Geprägt von seiner Erfahrung als Musikdirektor an der Mailänder Scala, ließ Abbado auch das Opernrepertoire nicht zu kurz kommen. Beim Edinburgh Festival 1977 entstand eine Aufnahme von Bizets Carmen, in den Hauptrollen sind Teresa Berganza, Plácido Domingo, Sherrill Milnes und Ileana Cotrubaș zu erleben. Mit Rossinis Barbier von Sevilla und Cenerentola sowie Arien aus Verdi-Opern brachte der Dirigent beliebte Werke aus seiner Heimat nach London.
Bis an sein Lebensende überraschte Abbado seine Zuhörer mit immer neuen Interpretationsansätzen. So ist es interessant, seine Lesart von Brahms’ 4. Sinfonie e-Moll mit dem LSO (1972) und die spätere Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern (1991) zu vergleichen.
Deutlich wird der Kontrast auch bei Pergolesis Stabat mater (1983), einem Werk, das er sich Jahre später wieder mit dem Orchestra Mozart in Bologna vornahm und dabei Erkenntnisse aus der historischen Aufführungspraxis einfließen ließ. Auf den Bonus-CDs sind Aufnahmen mit dem New Philharmonia Orchestra (Brahms/Tschaikowsky) und dem European Community Youth Orchestra (Berlioz’ Te Deum) zu hören.
Corina Kolbe