Piazzolla, Astor / Oli Bott / Helmut Abel
Ciudades Berlin
Berlin sei arm, aber sexy, witzelte der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt vor einigen Jahren. Die Berliner Kulturszene findet sich in dem Bonmot durchaus zutreffend charakterisiert: Anziehend wirkt sie schon seit Langem auf Künstler aus aller Welt. Mittlerweile hat sich die Spreemetropole auch als eine von Europas Tangohauptstädten etabliert. Unterricht, Tanzcafés, Tangoabende die wachsende Gemeinde der Tangofans kann problemlos an sieben Tagen der Woche ihrer Leidenschaft nachgehen. Auf diesem Nährboden entstand vor rund zehn Jahren Vibratanghissimo, ein Quartett, das den Tango Nuevo eines Astor Piazolla in reizvoller Instrumentierung neu interpretiert. Ciudades
Berlin heißt die neueste Veröffentlichung des Ensembles und enthält neun Nummern, vier aus der Feder des Vibrafonisten Oli Bott und vier Stücke von Astor Piazzolla, arrangiert von Juan Lucas Aisemberg, dem Bratschisten im Ensemble (darunter Chau Paris und der Klassiker Libertango). Hinzu kommt Toi, pour toi, geschrieben von dem Berliner Komponisten Helmut Abel.
Vibratanghissimo, dieser Superlativ ist nicht wirklich ernst gemeint. Der Tango wird weder übersteigert oder gar satirisch verzerrt, auch wird die Musik des Ensembles nicht vom Vibrafon dominiert. Im Gegenteil: Das Quartett versammelt vier Solisten, die allesamt durch überbordende Spielfreude und technische Versiertheit überzeugen. Aber was noch wichtiger ist: Man spürt in jedem Stück die Leidenschaft und Hingabe, jeder Musiker erweist sich als Poet am Instrument.
Markenzeichen des Ensembles ist die ungezwungene Art, mit der die improvisatorische Freiheit des Jazz und typische rhythmische und melodische Elemente des Tango verschmolzen werden. Das hatte Astor Piazzolla bereits vorgemacht, zahllose Ensembles haben seinen Weg weiter beschritten. Auch Vibratanghissimo (außerdem dabei: Bassist Arnulf Ballhorn und Pianistin Tuyet Pham) erfindet den Tango Nuevo nicht neu, setzt aber seine eigenen Akzente, besticht durch Einfallsreichtum und kreativen Umgang mit den Mitteln des Genres. Man hört melancholische Töne und poetische Träumereien (etwa im entrückten Beginn von Buenos Aires hora cero von Piazolla oder im Intro zu Libertango) ebenso wie vitale Ostinati und packende und mitreißende Steigerungen.
Berlin, die Hommage an das pulsierende Leben in der Hauptstadt, beginnt temporeich, quirlig, es ist eine Toccata der modernen Zeiten, die in der Mitte einmal zur Ruhe kommt, bevor der Bassist einen mitreißenden Groove in Gang setzt, bei dem er, der Studiotechnik sei Dank, sogar mit sich selbst spielt. Dieses Stück ist der erste Teil einer dreiteiligen Berlin-Suite aus der Feder von Oli Bott, an die sich La hora muerta und Sonando
Buenos Aires anschließen. Der geheimnisvolle Titel La hora muerta spielt übrigens auf die Geburtsstunde von Vibratanghissimo an, wie im persönlich gehaltenen Booklet zu lesen ist. Die CD bildet den Auftakt zu einer Trilogie, die den Tangometropolen Berlin, Paris und Buenos Aires gewidmet ist. Der Geburtsort des Tango am Rio de la Plata ist dem Ensemble immer gegenwärtig. Oli Bott: Buenos Aires ist der Traum, den unsere Gruppe lebt.
Mathias Nofze