Rachmaninow, Sergei
Chrysostomos-Liturgie
Rundfunkchor Berlin, Ltg. Nicolas Fink
Vergleichbar mit Franz Liszts Kirchenmusik steht auch Rachmaninows Beitrag zur liturgischen Musik ganz im Schatten seiner Klavierkompositionen. Mit seiner Chrysostomos-Liturgie für Chor a cappella, als op. 31 gedruckt, die offenbar aufgrund mehrerer Missverständnisse nicht zum gottesdienstlichen Gebrauch im orthodoxen Gottesdienst zugelassen wurde, gelang Rachmaninow ein Jahr nach seinem 3. Klavierkonzert im Jahr 1910 ein Schwesterwerk zu seiner bekannteren, nur fünf Jahre später komponierten Ganznächtlichen Vigil bzw. Das große Abend- und Morgenlob op. 37. Doch anders als in der Vigil bezieht sich der 36-jährige Komponist in seiner Liturgievertonung auf keine traditionellen, russischen Melodien. Sein an den Romantikern geschulter Personalstil tritt hier deutlicher zu Tage. Rachmaninow konnte aber auch aus der lebendigen westeuropäischen Chortradition schöpfen, die ihm nicht nur von seinen Deutschland-Aufenthalten vertraut war.
Dem Carus-Verlag ist in Zusammenarbeitg mit Deutschlandradio Kultur eine vorbildliche Aufnahme dieser orthodoxen Messe gelungen. Mit CD und Notenausgabe hat Carus das Werk nun auch einem größeren Publikum mustergültig erschlossen. Dem slawischen Originaltext ist in der Notenausgabe eine singbare deutsche Übersetzung beigegeben. Der sehr bewegliche Rundfunkchor Berlin folgt mit wacher, geschmeidiger Präsenz dem Dirigat Nicolas Finks. Fink ist durch seine Erfahrungen mit der Ganznächtlichen Vigil der ideale Partner des Berliner Chor-Ensembles.
Fink kürzt das Werk um nicht zwingend scheinende Wiederholungen und verzichtet auf eine Passage, in der die Streitkräfte gesegnet werden. Die solistischen Passagen singen der ganz wundersamtene tiefe Bass Axel Scheidig mit den Passagen des Solo-Diakons, der völlig schlackenlose Joo-hoon Shin, beide mit würdigem orthodoxen Pathos; durch das Sopransolo im Dich preisen wir wird durch Bianca Reims meditatives Piano ein beeindruckender Ruhepol in der Mitte der Werks geschaffen. Das immer ausdrucksstarke und immer gestaltete Piano des Chors dient auch oft als Ausgangspunkt der einzelnen Sätze. Nicolas Fink lässt seinen Chor die ganze Bandbreite der romantischen Chordynamik durchschreiten. Auf kleinsten Flächen wachsen Crescendi aus dem Nichts. Mit schwebender Leichtigkeit werden komplexe Doppelchorpassagen vorgetragen. Einen kleinen Höhepunkt an Plakativität erlaubt sich der Chor mit dem auskomponierten Schwingen der Kirchenglocken im Preist den Herrn aus den Himmeln. Selbst leicht manierierte Passagen der Partitur wirken immer durchgeistigt, selbst kraftvoll zu skandierende Anrufungen etwa im Schlusschor nie brutal, unerwartete Harmoniewechsel werden zu Ereignissen. Dies ist umso notwendiger, da keine komplizierten Rhythmen den meist homofonen Akkordfluss unterbrechen. Eine schnörkellose, aber doch geschmackvolle, leicht hallige Akustik ist genau auf diese auf eine Mischung aus Ruhe und innerer Spannung ausgerichtete Interpretation zugeschnitten. Dem Werk oder selbst einzelnen Sätzen daraus ist es zu wünschen und zuzutrauen, dass es durch diese CD und die Notenausgabe bei Carus in das aktive Chorrepertoire deutscher Laienchöre übernommen wird.
Katharina Hofmann