Christian Jost
Air
für Streichquartett, Partitur und Stimmen
Während der vergangenen Jahre hat der 1963 geborene Komponist Christian Jost mit einer ganzen Reihe größerer oder kleinerer Werke von sich reden gemacht. Mit dem vorliegenden Stück, im April 2017 durch das delian::quartett uraufgeführt, nähert er sich der traditionsreichen Besetzung Streichquartett über den Umweg des vielsagenden und mehrdeutigen Titels Air was, je nach historischem Kontext, in gleichem Maße Arie, Melodie, Luft oder auch Atem bedeuten kann , dem er am Kopf der Einzelstimmen (nicht jedoch in der Partitur) die Widmung dem Andenken eines Sterns hinzufügt.In der Tat stellt Jost das gemeinsame Atmen der Musiker in den Mittelpunkt, vollziehen sich doch nahezu alle Akkordwechsel im Zug eines gemeinsamen, fließenden Voranschreitens, in das nur gelegentlich nämlich durch eingeschobene Pausen, eingeworfene Arabesken oder sich verfestigende Rhythmen Unterbrechungen oder Irritationen eingelassen sind. Konkret werden die Interpreten mit einem rund achtminütigen musikalischen Verlauf konfrontiert, der sich aus einer Einzelstimme heraus im ruhigen Zeitmaß (Viertel = 68) entfaltet und dabei nach und nach unterschiedliche Registerlagen einbezieht: Ausgangspunkt ist ein lang gehaltenes a’ in der ersten Violine, von dem aus über den Weg von Zwei- und Dreistimmigkeit der vierstimmige Quartettsatz erschlossen wird.Josts Spiel mit Tonalität beispielsweise sein Beharren auf der großen Sext b-g nach Hinzutreten der Viola, der überraschende Wechsel zur übermäßigen Quart b-e und die rasche Ergänzung des nach einer Pause folgenden Dreiklangs a-e-f mit einem d im Violoncello zur Vierstimmigkeit nimmt allmählich Fahrt auf und bleibt für den Charakter von Air ebenso bestimmend wie die sorgfältige Arbeit mit dynamischen Werten, die der Komponist immer wieder dazu benutzt, um einzelne Instrumente aus dem ansonsten in allen Stimmen einheitlich behandelten Klanggeschehen heraustreten zu lassen und sie für einen kurzen Augenblick wie plastische Figuren vom Hintergrund abzuheben.Darüber hinaus nutzt Jost einen sich allmählich wandelnden harmonischen Rhythmus als Grundlage für einen Prozess der Steigerung: Während sich die Veränderungen zu Beginn nur ganz allmählich vollziehen, finden die Akkordwechsel im weiteren Verlauf zu einer rascheren Gangart, bis die Veränderungen auf dem Höhepunkt des Stücks dort zusätzlich gepaart mit einer starken Chromatisierung des Tonraumes in der Viertelmetrik einrasten. Dass Jost dann am Ende mit lang gehaltenen, durch Pausen voneinander getrennten Akkorden zu dem (freilich nach einem Ritardando auf Viertel = 48 verlangsamten) Duktus des Beginns zurückkehrt, ist bei alldem nur konsequent.Das visuell ansprechend gesetzte Stimmenmaterial der Ausgabe birgt für jede einzelne Stimme einen übersichtlich, zweiseitigen Notentext, doch ließe sich mit etwas Fantasie auch aus der vierseitigen Studienpartitur musizieren.
Stefan Drees