Felix Mendelssohn Bartholdy

Choral Works

MDR Leipzig Radio Choir, Ltg. Philipp Ahmann

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 74

Das Komponieren geistlicher Vokalmusik beschäftigte den vom jüdischen Glauben zum Protestantismus konvertierten Felix Mendelssohn über seine gesamte Lebensspanne, obwohl er mit der Abwägung des geeigneten liturgischen Orts im Gottesdienst zu keinen Lösungen kam. Zu sehr sorgte er sich, dass die Musik für den protestantischen Gottesdienst eben „blos ein Concert“ werde, das „zwar zu Andacht anrege“, aber damit kein „integrierender Teil des Gottesdienstes“ werde. So äußerte er sich 1835 in einem Brief an einen befreundeten Prediger. Dessen ungeachtet wuchs die Zahl der Kompositionen nach der Übernahme des Berliner Domchors durch Mendelssohn 1843 erheblich an, und dies trotz der nach wie vor ungelösten Probleme der Einordnung in den liturgischen Ablauf.
Die von Philipp Ahmann und dem Radio Chor des MDR Leipzig vorgelegte Sammlung von A-cappella-Motetten und geistlichen Chören (darunter die Welt-Ersteinspielung eines zweiminütigen Heilig ist Gott der Herr Zebaoth) stützt sich vornehmlich auf diese späten Kompositionen Mendelssohns. Stilistisch sind sie nach wie vor angelehnt an die Vorbilder aus der älteren Musik, wie sie Mendelssohn in Carl Friedrich Zelters Berliner Singakademie kennengelernt hatte.
Philipp Ahmann, der seit Januar 2020 den MDR Chor als Chefdirigent leitet, aber schon seit 2010 eine intensive Partnerschaft mit dem Chor eingegangen war, scheint den mitgliederstarken Chor (22 Soprane, 16 Alte, 14 Tenöre und 16 Bässe) gut im Griff zu haben, denn in den vollstimmigen Chorpartien wird die Größe des Chors nie zum klanglichen Problem. Die dynamisch immer biegsam bleibende Flexibilität des Klangkörpers ist beachtlich. Eher zeigen sich in den solistischen Abschnitten gewisse Schwächen, wenn die einzelnen Stimmtimbres und Stimmcharaktere und teilweise auch ein nicht ausreichend unterdrücktes Vibrato nicht jene Homogenität erzeugen können, die hier erwünscht wäre.
Philipp Ahmann gelingt in den unterschiedlichen Textebenen dieser Werke in aller Regel eine ausdruckshafte Herangehensweise mit einer neben der feinnervigen Dynamik diffizilen Agogik. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht auch die plastisch herausgearbeitete Struktur des Stimmengewebes und die Schichtung der verschiedenen musikalischen Abschnitte im Psalm Richte mich Gott. Allein in den fugierten Abschnitten der Mendelssohn’schen Werke bleibt die Herangehensweise öfters ein wenig blass. Neben einer nicht ausreichend durchhörbaren Transparenz bemerkt man hier bisweilen eine etwas spannungsarm und flach gehaltene Durchdringung des zu Grunde liegenden kontrapunktischen Geflechts.
Thomas Bopp