Chinese Violin Solos

15 Traditional and Contemporary Pieces/Eine Sammlung von Kompositionen für die traditionelle chinesische Röhrengeige, ausgewählt und für westliche Violine bearb. von Jonathan Stock, mit Online-Material

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 1998/2021
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 78

Eine Cross-over-Veröffentlichung der besonderen Art ist bei Schott erschienen, als Wiederveröffentlichung und jetzt mit Audio-Online-Material. Jonathan Stock hat 15 Kompositionen für die traditionelle chinesische Röhrengeige für westliche Violine bearbeitet.
Die zweisaitige Röhrengeige ist in China seit etwa 1200 Jahren in Gebrauch. Sie hat einen aus einem Holzrundstab bestehenden Hals, der in einen vergleichsweise kleinen Schallkörper mündet. Zwischen Wirbelkasten und Schallkörper über einen Steg gespannt sind die beiden in einem Quintintervall gestimmten Saiten, heute aus Metall, früher aus Seide gefertigt. Ein Griffbrett wie bei unseren traditionellen westlichen Streichinstrumenten, auf das die Saiten mit den Fingern der linken Hand niedergedrückt werden, gibt es nicht. Man spielt das Instrument „vertikal“, der Schallkörper ruht auf dem linken Knie.
Auf dieser zweisaitigen Geige kann man nur einen recht begrenzten Tonumfang greifen. Andere bei uns gebräuchliche Spielarten wie Pizzicato fehlen (fast) gänzlich, Doppelgriffe kommen, da man den Bogen nicht über beide Saiten, sondern „eingefädelt“ zwischen den Saiten hindurchführt, fast nie vor. Der Bogengriff ähnelt etwas demjenigen eines Kontrabassisten der deutschen Schule. Im äußerst informativen Text der Einführung lese ich dazu: „Der Spieler hält das Bogenende gegen seinen rechten Handteller und führt den Bezug mit den Spitzen des Mittel- und Ringfingers von einer Saite zur anderen.“ Beschrieben sind hier auch bestimmte traditionelle Stil- und Ausdrucksmittel der Musik, insbesondere die Glissando- und Schleiftechniken, die man zum Ornamentieren einsetzt. Ebenfalls interessant ist ein das Fingersatzsystem veranschaulichende Diagramm.
Die von Stock getroffene Auswahl der Stücke ist sehr abwechslungsreich und umfasst traditionelle alte Volksweisen, Kompositionen des erblindeten daoistischen Musikers Abing, der zwischen ca. 1890 und 1950 in Ostchina lebte, Volkstümliches aus der Zeit um 1930 bis hin zu Transkriptionen von Arien der Shaoxing- und der Peking-Oper. Die Nr. 5, Middle-Decorated Six-Beat, ist ein Duo für zwei Geigen. Vieles ist hier in den traditionellen pentatonischen fünf Modi der chinesischen Musik gehalten, aber auch Heptatonik ist gelegentlich präsent.
Zu jedem einzelnen der 15 Stücke finden sich kurze Erläuterungen. Rein geigerisch gesehen bieten die Kompositionen wenig Herausforderungen. Das allermeiste ist, bedingt durch den reduzierten Tonumfang des originalen Instruments, auf der modernen Geige in der 1. Lage zu spielen. In die Besonderheiten des Portamentospiels wird man sich eventuell ein wenig hineinfinden müssen. Hilfestellung bietet hier auch die sorgfältige Fingersatzeinrichtung. Die Aufnahmen, die man sich mit einem Gutscheincode kostenlos von der Schott-Website herunterlädt, sind kompetent ausgeführt und von professioneller Qualität.
Eine interessante Veröffentlichung, die sicher ihre Freunde und Liebhaber finden wird.
Herwig Zack