Enescu, George
Childhood Impressions
Sonata No. 1 op. 2 / Sonata No. 2 op. 6 / Impressions d'enfance op. 28 for violin and piano. Stefan Tarara (Violine), Lora Vakova-Tarara (Klavier)
Nicht allein den Impressions denfance, George Enescus 1940 entstandenem musikalischen Rückblick auf die Kindheit, verdankt sich das Motto der vorliegenden CD. Indem die beiden Interpreten dieser Suite aus der Reifezeit die beiden Violinsonaten D‑Dur op. 2 (1898) und f‑Moll op. 6 (1899) gegenüberstellen, ergibt sich ein doppelter Blick auf die frühe Entwicklung des Geigers und Komponisten: Denn die in Klangbildern voller Anspielungen steckende Imagination prägender Kindheitserlebnisse wird dadurch um Werke des 17- und 18-Jährigen ergänzt, die von einer Auseinandersetzung mit zentralen kompositorischen Vorbildern vor allem mit Johannes Brahms und der französischen Spätromantik sowie von den gleichzeitigen, nicht immer bis ins Letzte geglückten Versuchen ihrer Überwindung künden.
Mit ihrer bislang zweiten gemeinsamen Einspielung knüpfen Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara an die 2015 erschienene Produktion The Sound of the 20s an und erweitern das dort vorgestellte, auch Enescus dritte Violinsonate a‑Moll op. 25 umfassende Repertoire um mehrere Jahrzehnte in beide Richtungen. Die Umsetzung beider Jugendsonaten zeichnet sich dabei nicht nur durch große Präzision im Zusammenspiel aus, sondern auch durch eine ganze Reihe von Überraschungen. Hierzu gehört insbesondere die transparente Darstellung der harmonisch komplexen und satztechnisch dichten Passagen, zu der Vakova-Tararas schnörkellos klares Klavierspiel wesentlich beiträgt.
Ihr Partner wiederum verfügt über eine flexible Tongebung, die vor allem dort überzeugt, wo er sie wirkungsvoll durch behutsam eingesetzte Portamenti unterstützt oder wie etwa in den Mittelsätzen beider Sonaten unter starker Zurücknahme des Vibratos auf schlichten Ausdruck zielt. Etwas problematischer ist der Vortrag hingegen dort, wo sich der Geiger im Bereich der Forte-Expressivität bewegt, weil die Klangentfaltung an solchen Stellen von einem eher engen, starren Vibrato bestimmt ist und der Violinpart gegenüber dem Tasteninstrument eine Spur zu stark in den Vordergrund rückt.
Am wenigsten fällt diese Kritik bei der Wiedergabe der Impressions denfance ins Gewicht: Der reich mit differenzierten Fingersätzen, Glissandoanweisungen, Ornamenten, Pedalisierungen und anderen Details zur musikalischen Gestaltung versehene Klangreigen mit seinen wechselvollen Evokationen von Erinnertem und Erlebtem beginnend mit der solistischen Imitation eines folkloristischen Violinvortrags und anschließend über Momente wie die filigrane Wiedergabe von Vogelstimmengespinsten bis hin zur illustrativen Umsetzung von Natureindrücken wie Wind und Sonnenaufgang reichend dient als Ausgangspunkt für eine Interpretationshaltung, die den quasi-improvisatorischen Charakter der ineinander übergehenden Splitter bewahrt und ihn nach allen Richtungen hin im wechselseitigen Dialog beider Instrumente ausleuchtet.
Stefan Drees