Mieczysław Weinberg

Chamber Symphonies Nos. 2 and 4

Igor Fedorov (Klarinette), East-West Chamber Orchestra, Ltg. Rostislav Krimer

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 76

Als Sohn eines Musikers kommt Mieczysław Weinberg (1919-1996), sowjetischer Komponist polnisch-jüdischer Herkunft, schon früh mit Musik in Berührung. Bereits 1931 beginnt er am Konservatorium seiner Geburtsstadt Warschau ein Klavierstudium, das er 1939 beim deutschen Einmarsch in Polen abbricht. Er flüchtet zunächst nach Minsk und studiert dort Komposition, um zwei Jahre später vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nach Taschkent zu fliehen, wo er an der Oper Arbeit findet.
1943 schickt er seine 1. Sinfonie an Dmitri Schostakowitsch, der ihn daraufhin nach Moskau einlädt. In der russischen Metropole lässt er sich dann endgültig nieder, lebt und arbeitet fortan als freischaffender Komponist. Mit seinem Mentor Schostakowitsch verbindet ihn zeitlebens eine künstlerische und menschliche Freundschaft, die von gegenseitiger Wertschätzung bestimmt ist und in den Werken beider Komponisten viele Spuren hinterlässt. Man animiert sich gegenseitig zum Komponieren bestimmter Genres und leidet gemeinsam ab 1948 unter den Folgen der berüchtigten Schdanow’schen Kulturpolitik wegen „formalistischer Tendenzen“ in ihrem Schaffen.
In vielen seiner Kompositionen setzt sich Weinberg mit der Thematik des Kriegs auseinander. So auch in der Kammersinfonie Nr. 2 op. 147 für Streicher und Pauken (1987), die auf einem Streichquartett aus dem Jahr 1944 basiert und den damaligen Zeitgeist widerspiegelt. In ihrer Anlage und inhaltlichen Aussage gleicht sie einer Kurzfassung von Schostakowitschs Leningrader Sinfonie. Hier wie dort bestimmen Klänge voller paukenwirbelnder Dramatik, brutaler Marschrhythmik, düsterer Klage, konduktartiger Hoffnungslosigkeit, Trauer und schneidendem Schmerz das Geschehen, bis nach fragendem Hoffnungsschimmer ein Paukenschlag sein brutales „Nein!“ herausschleudert.
Unter Leitung seines belarussischen Dirigenten Rostislav Krimer durchforscht das in Minsk ansässige East-West Chamber Orchestra, das sich aus Preisträgern von Tschaikowsky-, ARD- und Long-Thibaud-Crespin-Wettbewerben sowie aus Konzertmeistern bekannter Orchester aus Ost und West zusammensetzt, mit packender, transparenter Intensität die Labyrinthe einer gepeinigten Seele.
In der Kammersinfonie Nr. 4 op. 153 für Streicher, Klarinette und Triangel (1992), seinem letzten vollendeten Werk, verwendet Weinberg eine stimmungselegische Choralmelodie. Sie spiegelt sein letztes Lebensjahrzehnt wider, das durch den Verlust von Freunden und öffentlicher Anerkennung geprägt ist. Durch das transparente, eindringliche und klangsinnliche Spiel der Musiker ist man ganz nah an Weinbergs erschütterndem viersätzigen Schwanengesang. Klagende, groteske, mitunter auch grelle Klarinettensoli (ausdrucksstark: Igor Fedorov) und wehmütiger Celloklang sorgen für Emotionen zwischen Todesahnung, verzweifeltem Aufbegehren und langsam verlöschendem Ende.
Zwei Aufnahmen von Weinbergs seelenzugänglicher Musik, die es verdient, viel bekannter zu werden.
Peter Buske