Johanna Senfter

Chamber Music

Else Ensemble

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: cpo
erschienen in: das Orchester 10/2024 , Seite 75

„Fräulein Senfter besitzt ganz außerordentliche Begabung für Komposition und hat demnach bei sehr großem Fleiße überraschend gute Resultate in der Komposition erzielt.“ So schrieb es Max Reger seiner Meisterschülerin 1909 ins Abschlusszeugnis. Schon ein Jahr zuvor hatte der berühmte Lehrer mit einem Brandbrief an Johanna Senfters Vater eindringlich dafür geworben, dass dessen jüngste Tochter seine Kompositionsklasse am Königlichen Konservatorium der Musik in Leipzig besuchen durfte. Es sei „geradezu eine Pflicht der Notwendigkeit […], die Ausbildung Ihrer Fräulein Tochter ganz zu vollenden“, wobei er die Wörter „Pflicht“ und „Notwendigkeit“ unterstrich. Wie recht Reger mit seiner emphatischen Beurteilung hatte, wird deutlich, wenn man sich die sechs Kammermusik-Werke der 1879 in Oppenheim geborenen und 1961 ebendort verstorbenen Komponistin anhört, die auf dem vorliegenden Doppel-Album versammelt sind. Das Spektrum reicht dabei vom frühen, vermutlich um 1911 entstandenen Quartett für Klavier, Violine, Viola und Kniegeige op. 11 bis hin zum Kleinen, leichten Trio, das, wie es im Booklet heißt, „wahrscheinlich eine der letzten, wenn nicht [Senfters] letzte vollendete Komposition“ ist. Das Entstehungsjahr verrät das Booklet dabei leider nicht.
Sowohl das frühe Klavierquartett als auch die beiden hier eingespielten Werke aus Senfters mittlerer Schaffensperiode – die Sonate für Klarinette, Bratsche, Horn und Klavier op. 37 von 1920 und die Sonate für Klarinette und Klavier op. 57 von 1932 – zeigen Senfter als Schülerin (und niemals Epigonin!) ihres Lehrers, dessen frühen Tod sie lange nicht verwinden konnte. Die Charakteristika seiner Tonsprache – Hang zur Kontrapunktik, gesteigerte Chromatik, thematische Verdichtung, musikalische Prosa – findet man auch bei Senfter, allerdings hat man stets das Gefühl, dass es ihre ureigene „Sprache“ ist und nicht eine, die sie sich einmal angeeignet und dann ein Leben lang beibehalten hätte. Das von Reger überlieferte Bonmot an seine (allzu) eifrigen Schüler – „Kinder, regert doch nicht so“ – trifft bei aller „Wahlverwandtschaft“ auf Senfter nicht zu. Wie souverän die Komponistin mit ihrem „Übervater“ verfährt, zeigt sie vollends (und auf vollendete Weise) in ihrem späten Quintett für Klarinette und Streichquartett op. 119 von 1950, das sich zwar vor den Klarinettenquintetten Brahms’ und Regers tief verbeugt, aber ohne diese auch nur im Ansatz zu „kopieren“.
Das aus deutschen und israelischen Musikern bestehende und nach der Dichterin Else Lasker-Schüler benannte Else Ensemble bleibt den – unbedingt zu entdeckenden! – Werken Johanna Senfters rein gar nichts schuldig und liefert ebenso transparente und luzide wie emotional packende Interpretationen, die neugierig machen, auch ihre Orchesterwerke (darunter acht Sinfonien und zwei Konzerte) auf Tonträgern (und Konzertbühnen) kennenzulernen.
Burkhard Schäfer