Christian Ridil

Chamber Music

Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, NoPhilBrass München

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 21737
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 90

Wer hätte gedacht, dass es dergleichen noch gibt: einen Magister ludi, den der Glaube an die humane Glaubwürdigkeit unversehrter Töne und Formverhältnisse noch nicht verlassen hat. Den die Leichtigkeit des Seins nicht unerträglich anmutet. Dem, für befreundete Musici schreibend, oft eine Portion schalkhaften Humors in die Feder fließt – ein rares Gut im Irrgarten zeitgenössischer Kunstmusik.
1943 in Breslau geboren und als Regensburger Domspatz aufgewachsen, studierte Christian Ridil in München bei seinem schlesischen Landsmann Günter Bialas, der ihn undogmatisch unterwies und für die Dreieinheit von Komponieren, Lehren und Musizieren gewann. Nach gymnasialer Lehrtätigkeit in Augsburg, wo er das dortige Vokalensemble mitbegründete und führte, wurde er von der Goethe-Universität Frankfurt am Main berufen, deren Chöre und Orchester er bis zu seiner Emeritierung 2011 als Universitätsmusikdirektor leitete.
Sein mehrfach preisgekröntes kompositorisches Schaffen umfasst Motetten, Choralkantaten und weltliche Chormusik wie auch Kammermusik und Orchesterwerke, die unter anderem in die Spielpläne des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, der Sinfonietta Dresden und des Nationalen Polnischen Rundfunksinfonieorchesters gelangten. Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, die Münchner Blechbläsergruppe NoPhilBrass und befreundete Gäste brillieren nun mit einer Blütenlese seiner Kammermusik, mustergültig aufgenommen im Sommer 2020 in der Himmelfahrtskirche München-Sendling.
Dass ihm gern auch ein Schuss Ironie ins Spiel gerät, die Thomas Mann „das Heimat-Element aller geistigen Kunst und Produktivität“ nannte, zeigt sich gleich zu Beginn in dem köstlichen Blechbläserquintett The Meeting (1993): vier Humoresken über die Verlaufskurven, Auf- und Abregungen, Zähigkeiten und Zumutungen so mancher Schul- wie Hochschulkonferenz.
Ironie ist auch der Flaschengeist der vier Nummern des Platzkonzerts (1990) für chromatische Mundharmonika, Bassklarinette, zwei Fagotte und Cembalo, annonciert als Schützenmarsch samt Trio, wilder Jagd, nächtlichem Intermezzo und Parade. Hier zehrt der Komponist von Jugenderinnerungen an häusliches Klavierspiel, Lagerfeuer und US-Militärkapellen.
Ein verunglückter Marsch entzaubert zu guter Letzt gar seine Märchenbilder für Flöte und Schlagzeug (1999). Die gewitzten Miniatur-Variationen über ein ungarisches Tanzlied (2016/19) für Klarinette, Fagott und Klavier münden in eine „etwas zügellose“ Fuge. Selbst in den Deux Dances macabres für Flöte/Piccolo/Altflöte, Klarinette/Bassklarinette, Trompete, Posaune, Violine, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug (1994/96) treibt Ridil ein leichtes Spiel mit schweren Dingen, indem unterschiedliche Zweiergruppen das grotesk Nachtgespenstige des Totentanz Paars hervorkehren.
Wer zählt die Häupter, preist die Namen aller Ausführenden, die hier hörbar animiert zusammenkamen? Der Komponist dürfte sich glücklich schätzen.
Lutz Lesle