Gabriel Fauré

Cello Sonatas

Luca Magariello (Violoncello), Cecilia Novarino (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Brilliant Classics 95681
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 76

Kaum ein zweiter Komponist vermochte der Idee von Intimität so überzeugend Gestalt zu verleihen wie Gabriel Fauré. Dabei hören wir keineswegs nur „leise Töne“: Intimität sei hier verstanden als schöpferische Haltung, die sich nicht unmittelbar an die äußere Welt richtet. In all ihrer Bewegtheit, ihren wechselnden Charakteren scheint zumal die Kammermusik des späten Fauré stets zu sagen: Es geht um dich! Diese Musik teilt sich denen mit, die bereit sind, nach innen zu horchen und auf bisweilen verschlungenen Wegen zum Ziel zu gelangen.
Beide Cellosonaten Faurés sind Früchte seiner späten Jahre, sie entstanden 1917 und 1921. Gemeinsam ist ihnen die Fähigkeit des Komponisten, in gleichsam kondensierter Form – zwei der insgesamt sechs Sätze dauern weniger als sechs Minuten – komplexe Vorgänge und emotionale Kontraste auszugestalten, ohne „ein Wort zuviel“ zu sagen.
In ihren thematischen Gestalten sind die beiden Sonaten sehr verschieden: Ein rhythmisch gezacktes Motiv (das auf eine früher entstandene sinfonische Skizze zurückgeht) prägt den Kopfsatz der d-Moll-Sonate op. 109, und auch ihr mild-gestimmtes D-Dur-Finale lebt vom rhythmischen Impuls einer synkopischen Tonwiederholung im Hauptthema. Der elegische g-Moll-Mittelsatz gemahnt an die Liedkunst Faurés.
Verglichen mit diesem Vorgängerwerk präsentiert sich die g-Moll-Sonate op. 117 düsterer, unruhig, getrieben von zerrinnender Zeit. Zumal der Finalsatz zeigt Fauré als avancierten Harmoniker, der unterwegs ist, das traditionelle System immer weiter in Frage zu stellen. Die beiden Rahmensätze umschließen einen Trauermarsch, der ursprünglich als Staatsauftrag zur Hundertjahrfeier des Todes von Napoléon I. konzipiert war. Der tieftraurige Satz mutet an wie ein später Nachfahre von Faurés berühmter Elegie op. 24.
Die Neuaufnahme durch das junge italienische Duo Luca Magariello und Cecilia Novarino endet nach exakt 39’56”, und darin liegt ihr größtes Problem. Warum wurde die Aufnahme nicht ergänzt durch eine der zahlreichen Cello-Piècen Faurés, nicht zu reden von aufschlussreichen Kombinationen der Sonaten mit anderen Werken des frühen 20. Jahrhunderts? Der in herrlichem Legato erblühenden, dynamisch abgestuften Cellokunst Magariellos würde man ebenso gern noch länger lauschen wie Novarinos nuanciertem, von brillanter Anschlagskultur zeugendem Klavierspiel.
Die beiden Musiker betonen eher die elegische als die kantige Seite der Musik Faurés, ihr homogenes Konzept wird allerdings durch tonmeisterliche „Großzügigkeiten“ zugunsten des Klaviers gelegentlich ins Wanken gebracht – ein immer wieder anzutreffendes Prob- lem von Cello-Klavier-Aufnahmen. Magariellos in englischer Übersetzung wiedergegebener Einführungstext enthält leider Schrägheiten wie jene, Schönbergs “Verklärte Nacht” kündige bereits die Zwölftontechnik an. Nun ja!
Trotz kleiner Einschränkungen: ein überzeugendes Plädoyer für die große Kunst Faurés und ein überzeugender Auftritt eines auf hohem Niveau agierenden Duos.

Gerhard Anders