Werke von Paul Tortelier, Sergej Prokofjew, Mstislav Rostropovich und anderen

Cello Solo Journey

Luciano Tarantino (Violoncello)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Brilliant Classics
erschienen in: das Orchester 12/2019 , Seite 72

Gewiss: Cellisten halten ihr Instrument in der Regel für den Nabel der Welt. Und wenn es darum geht, die klingende Welt mittels eines einzigen Instruments zu umfassen, kommt unter den nicht-akkordischen Instrumenten wohl wirklich kein anderes dem Cello gleich. So verwundert nicht, dass im Lauf des 20. (und 21.) Jahrhunderts – ausgelöst durch die Wiedererweckung der Bach’schen Solosuiten und später durch treibende Kräfte wie den genialen Siegfried Palm – das Cello als unbegleitetes Soloinstrument einen solchen Boom erlebt hat und nach wie vor erlebt.
Ein, allein geografisch, breites Panorama überwiegend höchst virtuoser Cellomusik führt uns die Cello Solo Journey des italienischen Cellisten Luciano Tarantino vor Ohren. Vergeblich suchen wir indes Werke der Nachkriegs-Avantgarde: Penderecki, Zimmermann, Xenakis und Co bleiben außen vor. Dies allein sei nicht als Qualitätskriterium verstanden, denn die Vielfalt ist allemal beeindruckend: Wir hören eine Zirkus-Suite des großen Cello-Virtuosen Paul Tortelier, eine etwas weniger zirzensische, gleichwohl auch knifflig zu spielende Suite des Russen Alexander Tscherepnin, eine Toccata des Ungarn Miklós Rósza, ein ganzes Bündel folkloristisch inspirierter Piècen von Isaac Albeniz, Astor Piazzolla und diverser zeitgenössischer Cellisten/Komponisten, deren Namedropping den Rahmen sprengen würden.
Unter dem Aspekt des Repertoirewerts ist die Einspielung der unvollendeten Solosonate op. 134 von Sergej Prokofjew – der Komponist hatte sie in seinem Todesjahr dem jungen Mstislav Rostropovich widmen wollen – sicherlich die bedeutsamste Tat. Schließlich erleben wir noch „Rostro“ als Komponisten einer polternd-fröhlichen Es-Dur-Etüde in Polkaform.
Beste Voraussetzungen also für eine erfolgreiche „Journey“. Allein: Luciano Tarantinos Spiel kann nicht durchweg erfreuen. Der Musiker des Jahrgangs 1977 studierte in Bologna, erhielt Anregungen unter anderem von David Geringas und Truls Mørk, spielte in diversen Orchestern und ist heute als Pädagoge in seiner apulischen Heimat sowie als Solist tätig.
Bisweilen entlockt er seinem ungemein dunkel timbrierten Testore-Cello herrliche Töne – insbesondere auf den tiefen Saiten –, die zuverlässige Bewältigung der technischen Anforderungen bleibt er indes hier und da schuldig. Insbesondere Doppelgriffpassagen in hohen Lagen geraten gelegentlich zu Zitterpartien für CD-Hörer, die anschließend umso erleichterter sind, wenn Tarantino wieder einigermaßen festen Boden erreicht hat. Der Satz „Poneys“ in Torteliers (zweifellos unverschämt schwieriger) Zirkus-Suite gebiert in diesem Zusammenhang geradezu Rätsel, ob wir es mit beabsichtigten Viertel- oder verrutschten Halbtönen zu tun haben.
So bleibt man am Ende der „Journey“ ratlos und ein wenig enttäuscht zurück. Die einzelnen Reiseziele lohnen allemal den Besuch, doch was ist, wenn das Verkehrsmittel Sicherheitsmängel aufweist…?
Gerhard Anders