Nikolai Kapustin / Alfred Schnittke

Cello Concertos

Eckart Runge (Violoncello), Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Frank Strobel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 73

Größere Kontraste sind kaum denkbar … wirklich? Gewiss entstammen die hier zu hörenden Cellokonzerte von Nikolai Kapustin und Alfred Schnittke konträren Welten. Was die beiden Generationsgenossen indes verbindet, ist ihre Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten innerhalb der festgefügten, durch Repressalien zusammengehaltenen sowjetischen Kulturwelt der 1950er bis 1970er Jahre.
Kapustin (*1937) entwickelte sich früh zu einem gesuchten Jazzpianisten und Arrangeur, stieß jedoch mit seinem Versuch, „jazzige“ sinfonische Musik zu schreiben, auch auf Widerstand, sodass viele seiner Werke erst mit Verspätung der Öffentlichkeit zugänglich wurden. Sein 1. Cellokonzert (1997) wird, gespielt von Eckart Runge, im Jahr 2021 seine konzertante Premiere erleben.
So leicht und brillant Kapustins konzertanter Jazz des Weges kommt, so konfliktreich stellt sich sein ästhetischer Ansatz dar: „Ich war nie ein Jazzmusiker. Ich habe nie versucht, ein wahrer Jazzpianist zu sein, aber ich musste es sein, um des Komponierens willen. Ich interessiere mich nicht für Improvisation“, notiert Kapustin und bringt damit zum Ausdruck, dass sich seine groovende Musik im Grunde in der Tradition George Gershwins bewegt. Sein dreisätziges Cellokonzert verlangt dem Solisten hohe Virtuosität und zugleich jede Menge Feeling und Timing ab.
Gewaltige Herausforderungen an den Solisten stellt auch Alfred Schnittkes 1986 komponiertes 1. Cellokonzert. Ansonsten aber bewegen wir uns hier in völlig anderen Sphären. Seit seinem Erscheinen auf der Bildfläche des Westens in den 1970er Jahren wurde Schnittke zunehmend zur Personifikation dessen, was als Polystilistik in die jüngere Musikgeschichtsschreibung einging: Seine Musik schien ebenso losgelöst von altsowjetischem Ballast wie von Forschritts-Dogmen à la Stockhausen. Schnittkes Cellokonzert liefert beeindruckende Beispiele für diese „neue Freiheit“: Beißende Dissonanzen stehen neben Choralharmonien, formale und rhythmische Diffusionen neben einem ironisch-motorischen Scherzo, in dem Schostakowitsch über Schnittkes Schulter schaut. Das Werk endet mit einem gewaltigen „Dankgesang eines Genesenen“ (Schnittke hatte kurz zuvor einen Schlaganfall erlitten), in dessen nervenzerreißendem Finale das Cello im höchsten Register gegen übermächtige Orchesterkräfte ankämpfen muss.
Beide Werke scheinen Eckart Runge wie auf den Leib geschrieben. Der ehemalige Cellist des Artemis Quartetts hat sich nicht zuletzt als gelegentlicher Grenzgänger zwischen Klassik, Jazz und Rock einen Namen gemacht. Doch nicht nur Kapustin, auch die bohrende Intensität des Schnittke-Konzerts, dessen Exaltationen in Bereiche des Fast-Unspielbaren finden in Runge einen kongenialen Interpreten. Sein herber und zugleich höchst modulationsfähiger Ton und seine schier grenzenlosen technischen Fähigkeiten machen diese CD – auf der freilich das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Dirigent Frank Strobel als hochkompetente Partner agieren – zum echten Hörereignis.
Gerhard Anders