Reiner, Karel
Cello Concerto / Sonata brevis / Elegie and Capriccio / Verses for cello and piano
Dass Karel Reiner anders als Viktor Ullmann, Pavel Haas, Hans Krása und Gideon Klein die faschistischen Konzentrationslager überlebt hat, war sein Glück. Sein Unglück war, dass er, anders als seine jüdischen Weggefährten und Schicksalsgenossen, lange vergessen blieb: Die Nazi-Besatzer ächteten sein Schaffen, und 1970 wurde es erneut unterdrückt, als Reiner nach der Niederschlagung des Prager Frühlings aus der Kommunistischen Partei austrat und seine Ämter niederlegte. Jetzt aber setzt diese exzellent eingespielte Platte mit Werken der Jahre 1943 bis 1975 ein Achtungszeichen als Würdigung und als Auftakt einer CD-Serie.
Geboren wurde Karel Reiner am 27. Juni 1910 im nordböhmischen atec, gestorben ist er am 17. Oktober 1979 in Prag. Der promovierte Jurist, der ca. 300 Werke komponiert hat, war Schüler von Alois Hába und Josef Suk. Ihnen verdankte er die Grundlagen seines vielseitigen Stils, der sich auf das athematische Komponieren und die Klang-Experimente des einen wie auf die spätromantische Ausdruckswelt des anderen stützt und sich in Massenlied und Sinfonik, in radikaler Vereinfachung und komplizierten Strukturen äußert. Die Werke [
] die auf dieser Aufnahme vereint sind, spiegeln seinen künstlerischen Werdegang gut wider, nicht zuletzt, weil sie an biographisch markanten Lebensabschnitten entstanden sind [
] Wie auch bei Dmitri Shostakovich ist es für die Rezeption und ein vertieftes Verständnis von Reiners Musik wesentlich, seine Lebensumstände und sein politisches Umfeld mit einzubeziehen, erläutert Sebastian Foron das Programm. Und sein Interviewpartner Alfred Thomas Müller, der 1975 am Theater der Lutherstadt Eisleben die deutschsprachige Erstaufführung von Reiners Oper Das Schustermärchen herausgebracht hat, benennt anhand der Strophen für Viola und Piano (1975) die Charakteristika seiner Musik: der deklamatorische Stil, bei dem er melodische Zentraltöne im Stile des Psalmodierens umspielt, rhythmisierte Klang- und Tonrepetitionen, Vorliebe für Intervallsprünge, differenzierte Dynamik und die Gegenüberstellung dieser Struktur bildenden Elemente in extremen Tonlagen.
Es ist in der Tat diese Fülle von Kontrasten in und zwischen den Werken, die das Hören fesselt. Das Konzert (1943) die letzte Komposition Reiners vor seiner Deportation nach Theresienstadt, erst am 2./3. Dezember 2010 in Prag uraufgeführt und auf dieser CD eine Ersteinspielung verbindet ebenso wie die Sonata brevis (1946) die motorischen und ostinaten Elemente der Ecksätze mit kantablen oder trauermarschartigen Mittelsätzen. Dagegen wirkt das thematisch-motivisch durchgearbeitete, an Folklore und Romantik orientierte Stück Elegie und Capriccio (1957/60) deutlich entspannter, ja hoffnungsvoll.
Dem Zeit-Erleben der Musik stellt das Booklet erhellende Dokumentarbeiträge an die Seite (das Interview sowie ein Gespräch von Foron mit der Zeitzeugin Doris Grozdanovicová), was diese geglückte CD-Edition noch bedeutsamer macht. Auf deren Fortsetzung darf man gespannt sein.
Eberhard Kneipel