Dmitri Shostakovich
Cello Concerto No. 1 / Symphony No. 5
Xavier Phillips (Violoncello), Les Dissonances, Ltg. David Grimal
In seinem ausführlichen und sehr lesenswerten Text zum Beiheft (oder besser: Beibuch) zu dieser Veröffentlichung schreibt der französische Cellist Xavier Phillips über seine langjährige Zusammenarbeit mit Mstislaw Rostropowitsch, der ihn als Schüler annahm, selbstlos unterstützte und dem Phillips seine Interpretation von Dmitri Schostakowitschs erstem Cellokonzert widmete. Die Liveaufnahme aus der Oper Dijon vom Dezember 2014 ist hier festgehalten. Phillips musiziert mit dem Orchester Les Dissonances, bei dem es sich eigentlich eher um ein Künstlerkollektiv handelt: Das 2004 gegründete Ensemble spielt zwar unter der Leitung seines Künstlerischen Direktors David Grimal, jedoch ohne Dirigent.
Phillips integriert in seine Lesart des Schostakowitsch-Konzerts einige Details, die er von Slawa Rostropowitsch übernahm, zum Beispiel die gleichmäßige Intonation des Anfangsmotivs im Gegensatz zu dem kraftvollen Staccato, das man meist zu hören bekommt. Die technische Souveränität des Cellisten steht außer Frage, ebenso seine tiefe Identifikation mit der Tonsprache des Komponisten. Gleichwohl handelt es sich um eine eher milde, ausgeglichene Sichtweise des Werks, das eher dessen klassische Grundzüge betont als die Verzweiflung und den Sarkasmus, die das Konzert ebenso prägen. Auf diese Weise verliert besonders der Kopfsatz ein wenig seinen lakonischen, pointierten Charakter, und den Höhepunkt des Moderatos könnte man sich schmerzvoller, leidenschaftlicher vorstellen. Dafür bietet Phillips im Finale, bei atemberaubendem Tempo, eine mitreißende Tour de Force. Das Orchester absolviert seinen Part zuverlässig, aber ohne wirklich eigene Akzente zu setzen.
Eher klassisch präsentiert sich auch die Interpretation von Schostakowitschs Sinfonie Nr. 5, ebenfalls live aufgenommen ein gutes Jahr später am selben Ort. Wenn Xavier Phillips in seinem Text davon schwärmt, mit Les Dissonances Kammermusik im großen Rahmen zu spielen, so wirkt genau dieser kammermusikalische Charakter hier dem hundertprozentigen Erfolg des Unternehmens entgegen. Das Orchester überzeugt vor allem in filigranen Passagen, in denen die solistischen Qualitäten der einzelnen Musiker (durchweg positiv) zur Geltung gelangen. So markiert der zweite Satz den gelungensten Teil der Interpretation.
Woran es jedoch gelegentlich mangelt, ist eine genaue Fokussierung des orchestralen Geschehens. Die zahlreichen Höhepunkte, vor allem in den Ecksätzen, laufen auf diese Weise Gefahr, ihrer Funktion beraubt zu werden und lediglich laut zu klingen. Wohin genau die Entwicklung führt, wird an einigen Stellen nicht deutlich genug. Und wenn das Ensemble dann im Schlussteil des Finales, nach durchaus überzeugendem, langsamem und bedrohlichem Beginn, plötzlich das Tempo anzieht und auf ein fröhliches Happy End hinsteuert, überzeugt dies nicht auf ganzer Linie. Vielleicht hätte die ordnende Hand oder gar die Vision? eines Dirigenten hier doch nicht geschadet.
Thomas Schulz