Celibidache rehearses Bruckner’s Ninth

A Jan Schmidt-Garre Film with Sergiu Celibidache and the Munich Philharmonic

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: ArtHaus Musik 101 555
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 81

„Man will nichts, man lässt es entstehen“, so lautete Celibidaches Credo – und gleichermaßen der Titel eines trefflichen Porträtfilms über den genialen Dirigenten. Jan Schmidt-Garre, Autor dieser Dokumentation, stand in engem Kontakt mit dem 1996 verstorbenen Rumänen, durfte ihn und die Münchner Philharmoniker bei vielen Proben mit der Kamera begleiten. Am Ende hatte er weit mehr Material, als er verwenden konnte, allein den kompletten Mitschnitt einer Probe von Bruckners Neunter. Was lag da näher, als solche Schätze für eine Nachfolge-Dokumentation auszuwerten?
So wie sich die vorliegende DVD exemplarisch auf einen ausgewählten Satz konzentriert, das apotheotische Adagio aus Bruckners unvollendeter Neunter, kann der Zuschauer tief in die Musik eintauchen, auf bislang unbeachtete Details aufmerksam werden. Das Hauptmotiv, mit dem das Adagio in den ersten Violinen solistisch einsetzt, beginnt zum Beispiel mit einer Undezime. Celibidache hört sofort, ob seine Musiker diesen exponierten Sprung innerlich vorausgehört haben. Vertrauen sie nur ihren Fingern, sind Intonation und klangliche Präsenz des Zieltons bereits gefährdet.
Was Celibidache vom Orchester fordert, sind gleichsam subtile wie elementare Dinge. Er sensibilisiert die Stimmführer, noch stärker einander zuzuhören, darauf zu achten, welche Instrumente in Führung zu gehen und welche dahinter zurückzutreten haben. Es gibt keine noch so kleinste Ungenauigkeit, über die er hinweggehen würde, alles hat er im Visier: klangliche Feinheiten, vertrackte rhythmische Stellen, und hier und da nimmt er sich sogar Zeit, mit einzelnen Kollegen Alternativen für bessere Striche zu diskutieren. Dunkel, deutsch, breit und männlich muss Bruckner tönen, fast ins Martialische tendierend bei den Gipfelgängen. Grandios, wenn die Musiker das umsetzen. Kein anderes Orchester der Welt macht ihnen das heute nach!
Es ist schön, die Probe in Echtzeit mitzuerleben. Nur gelegentlich nutzt der Autor geeignete Zäsuren für kurze Einschübe, bei denen der Maestro zu Wort kommt. Mit Ansichten, die für sein Musikverständnis wesentlich sind, zum Beispiel: „Das Ende liegt im Anfang“, oder: „Musik ist wie eine Landschaft: Man interpretiert sie nicht, man erlebt sie!“
Ein besonders berührendes Interview entstand in St. Florian. Treffend beschreibt Celibidache da die Musik Bruckners, von dem er sagt, er habe „die Macht des Allmächtigen in die Noten reinbekommen, einen Sinn für die Ewigkeit“ bezeugt. Alle diese Aussagen sind in ihrer Prägnanz so knapp gehalten, dass sie den Probenverlauf nicht hemmen.
Kenner werden dankbar sein für die eingeblendeten Taktzahlen, die das Mitlesen der Partitur erleichtern. Bei allen anderen, die kaum oder nur wenig über Celibidache wissen, dürften seine teils viel zitierten Weisheiten neugierig stimmen, mehr über ihn erfahren zu wollen.
Kirsten Liese