Tonhalle Orchestra Zurich
Celebrating 150 Years
Was schenkt man sich zum 150. Geburtstag? Erinnerungen an goldene Zeiten oder den Genuss der Gegenwart? Die aus 14 CDs bestehende Box, die das Tonhalle Orchester Zürich gemeinsam mit der Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft SRF und Sony Music herausgebracht hat, verbindet beides miteinander.
Die Liveaufnahmen, die die Geschichte des Orchesters hörbar machen, sind alles Erstveröffentlichungen auf CD. Vielleicht liegt es an den vielen verschiedenen Chefdirigenten, dass man bei diesem Ensemble weniger einen eigenen Ton hört als eine große stilistische Flexibilität. Nur Friedrich Hegar (1865-1906), Volkmar Andreae (1906-1949), Erich Schmid (1949-1957), Rudolf Kempe (1965-1972) und David Zinman (1995-2014) blieben länger als fünf Jahre in Zürich. Manche der Chefdirigenten wie Gerd Albrecht oder Christoph Eschenbach sind, wie Peter Hagmann im Booklet erklärt, im Streit gegangen.
Vor allem aber fällt beim Hören auf: Dieses Orchester wird im Alter immer besser. Die früheste Aufnahme aus dem Jahr 1942 ist nicht nur wegen der schlechten Tonqualität von rein historischem Interesse. Volkmar Andreae dirigiert Bruckners Siebte ganz gerade. Die Musik atmet nicht, entfaltet keine Transzendenz. Intonationstrübungen und eine schlechte Balance in den Holzbläsern trüben den Gesamteindruck. Auch Schumanns Vierte aus dem Jahr 1943 unter der Leitung von Othmar Schoeck und Schuberts Dritte (1959) unter dem Chefdirigenten Erich Schmid haben Licht und Schatten: einen klaren interpretatorischen Zugriff, aber viele Ungenauigkeiten im Detail.
Spannend die dritte CD, in der die hochdramatische, pathosgetränkte Interpretation von Beethovens Fünfter (1968, Rudolf Kempe) der al dente musizierten, federnden Aufnahme der Ersten unter der Leitung von Frans Brüggen gegenübergestellt wird. Die fließenden Bruckner-Interpretationen von Haitink (Fünfte) und Blomstedt (Neunte) haben durchaus Ecken und Kanten. Jonathan Notts wunderbar sprechende „Trauersinfonie“ von Joseph Haydn hat genauso Referenzcharakter wie Saint-Saëns’ farbenreiche Orgelsinfonie in der Deutung Charles Dutoits. Plastisch und drastisch gerät Berlioz’ Symphonie fantastique unter dem gegenwärtigen Chefdirigenten Lionel Binguier (bis Sommer 2018), dem 2019 Paavo Järvi folgen wird.
Es ist David Zinman zu verdanken, dass das Orchester Mitte der 1990er Jahre einen Qualitätssprung machte. Der Mitschnitt seines Abschiedskonzerts aus dem Jahr 2014 mit Mahlers Auferstehungs-Symphonie ist trotz kleinerer Patzer in Orchester und Chor ein tief bewegendes Tondokument. Neue Musik findet sich vor allem von Schweizer Komponisten wie Othmar Schoeck (Penthesilea), Heinz Holliger (Violinkonzert Hommage à Louis Soutter) oder Albrecht Moeschinger (Sinfonie Nr. 4) in präzisen und immer auch klangsinnlichen Interpretationen. Aber auch bei Morton Feldmans Coptic Light oder Witold Lutosławskis Livre pour orchestre machen die Schweizer eine gute Figur.
Georg Rudiger