Pēteris Vasks

Castillo Interior

für Streichtrio, Partitur und Stimmen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 5/2025 , Seite 70

Pēteris Vasks (geb. 1946) gehört zu den häufig gespielten Komponisten der Gegenwart. Seine Werke gründen im Glauben, der Natur, der Selbstbestimmung und der Kontemplation. Sie sollen in seinen Worten der „Seele Nahrung geben“. Charakteristisch für ihn sind lineare Stimmengeflechte oder belebte Klangflächen, die das musikalische Erleben ins Innere wenden.
Castillo Interior ist ursprünglich 2013 als Duo für Violine und Violoncello komponiert worden, uraufgeführt von Patricia Kopatchinskaja und Sol Gabetta. Neben einer weiteren Fassung für Klavier schrieb Vasks dieses Stück 2021 für Streichtrio um. Gegenüber dem Duo nahm Vasks hier Änderungen in der Faktur vor, u. a. wurden zusätzliche Linien eingefügt, die ersten beiden schnellen Abschnitte verlängert, die Nahtstellen umgestaltet. Die Triofassung enthält keine Doppelgriffe mehr. Durch die hinzugekommene Viola-Stimme wird das Adagio zu einem gleichberechtigten Trio-Satz, im Allegro ergänzt sie Akkordtöne in relativ enger Amplitude.
In diesem Werk werden zwei musikalisch antipodische Räume exponiert: auf der einen Seite ein Adagio in d-Moll im Dreivierteltakt, auf der anderen ein Allegro im Zweivierteltakt, tonal wandernd von c-Moll nach d-Moll. Die Kontraste könnten kaum größer sein: längere Notenwerte (punktierte Halbe bis Viertel) gegen Sechzehntel-Perpetuum, engstufige Melodik gegen weite Akkordbrechungen, Piano (auch ppp) gegen Forte, Legato gegen Staccato. Komponiert Vasks oft gleichförmige musikalische Felder, so zeigt dieses Stück eine Entwicklung: Der zweite Affekt nähert sich dem ersten an, das Allegro wird in den letzten beiden Einsätzen verkürzt, deutlich leiser, legato gespielt. Die Erregtheit wendet sich der Ruhe zu. Mit dem Titel dieses Stücks nimmt Vasks Bezug auf das Hauptwerk der Karmelitin und Mystikerin Teresa von Ávila Moradas del Castillo Interior („Wohnungen der Inneren Burg“, 1577), in dem sie die mystische Hochzeit als höchste Form spiritueller Erfahrungen thematisiert.
Ungewöhnlich ist das Setzen von Vorzeichen bei jedem Erscheinen derselben Note innerhalb eines Taktes, selbst bei Tonwiederholungen. Dies mag eine individuelle Handhabung des Komponisten sein. Sie ist eigentlich unnötig und erleichtert das Notenlesen kaum.
Vasks vermag mit einfachen Mitteln – hier sind es melodische Linien und leitereigene Klänge in d-Moll bzw. d-Dorisch und Drei- und Vierklänge in Brechungen, die diatonisch gehalten sind und einen recht geringen Dissonanzanteil haben – große Wirkungen zu erzielen. Durch die nicht zu schwierige Spielbarkeit dürfte diese Streichtrio-Fassung von Castillo Interior eine weite Verbreitung finden.
Christian Kuntze-Krakau