Rainer Falk/Sven Limbeck (Hg.)

Casta Diva

Der schwule Opernführer

Rubrik: Buch
Verlag/Label: Querverlag
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 62

Ein schwuler Opernführer? Der hat uns gerade noch gefehlt! Wohin will er uns führen? Wer soll ihn überhaupt lesen und weshalb? Und: werden jetzt alle möglichen Erzeugnisse aus 400 Jahren Operngeschichte von Monteverdi bis Pintscher womöglich durch eine schwule Brille gesehen und gehört?
Nein, natürlich nicht! Aber die Frage nach dem Sinn, gar der Notwendigkeit eines schwulen Opernführers, wie Rainer Falk und Sven Limbeck ihn vorlegen, stellt sich schon. Und wird ganz überzeugend im fünfseitigen Einführungstext der beiden Herausgeber beantwortet. Da geht es um viel Grundsätzliches, Geschichtliches, Gegenwärtiges. Und ein schwuler Opernaficionado wird den allermeisten Sätzen dieser Einführung mit ihren sozio-kulturellen Aspekten zustimmen. Das müssen mir die heterosexuellen Leser einfach glauben oder nicht! Oper ist sowohl als Ort, an dem Kunst sich abspielt, als auch als autonomes Kunstwerk, das auf den Bühnenbrettern Abend für Abend live erfahrbar wird, ein Terrain, in dem im Idealfall „bürgerliche“ Grenzen oder Vorstellungen von (stets kulturell determinierter) „Natürlichkeit“ außer Kraft gesetzt werden (können). Schwul sein zu dürfen ohne prompte Sanktionen: Das geht in der Oper. Als Besucher. Und auf der Opernbühne als Darsteller. Beides womöglich seit der Entstehungszeit der ersten Opern. Und heute, im 21. Jahrhundert, braucht sich die Gay-Community im Opernhausfoyer ohnehin nicht mehr zu verstecken. Sie gehört zur Normalität. Was unternimmt also dieses dickleibige Werk, das den schönen Titel Casta Diva trägt? Es lenkt den Blick auf queere Subtexte in Opern, die wir alle gut zu kennen meinen. Wie Strauss’ Rosenkavalier etwa. Oder Verdis Un ballo in maschera. Oder Mozarts Così fan tutte. Dies nur drei willkürlich herausgegriffene Beispiele für Opernstoffe, die mal mehr, mal weniger explizit (auch) das Thema Homosexualität streifen. Mitunter überrascht, nimmt man dies zur Kenntnis. Dass es hier aber um mehr als nur Mutmaßungen der Autoren der Lexikonartikel geht, belegen Angaben über Inszenierungen, in denen die Regie es vermochte, schwule Momente einer ansonsten ganz unschwulen Oper schlüssig und überzeugend auf die Bühne zu bringen. Und auch dies macht Casta Diva – vor allem heterosexuell orientierten Lesern – noch einmal deutlich: dass es Opern wie etwa Donizettis Lucia di Lammermoor sind, die besondere Suggestionskraft auf schwules Publikum ausüben können. Weil die Hauptperson Identifikation ermöglicht, sie so etwas wie ein Spiegelbild des eigenen Ich sein kann. Auch noch im 21. Jahrhundert. Sprachlich bewegen sich sämtliche der 31 Autoren auf höchstem Niveau. Die Beiträge folgen dem konventionellen Opernführer-Schema mit Besetzung, Inhaltsangabe, Verweise auf Literatur und Medien. Und eben den Kommentaren, die spannende und interessante Perspektiven eröffnen. Deshalb dieses uneingeschränkte Fazit: Ja, ein schwuler Opernführer wie Casta Diva hat uns gerade noch gefehlt!
Christoph Schulte im Walde