Rodion Schtschedrin

Carmen-Suite Ottorini Respighi / Pini di Roma

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 70

Die Carmen wollte sie tanzen: Maja Plissezkaya, langjährige Primaballerina am Bolschoi-Theater, reizte wohl die Spannung zwischen populären Themen und der unterschwellig erotischen Haltung des Stoffs. Doch weder Dmitri Schostakowitsch noch Aram Chatschaturjan ließen sich zur Komposition bitten. Schließlich willigte dann Plissezkayas Ehemann Rodion Schtschedrin zögerlich ein, ihr das Ballett nach der beliebten Oper zu schreiben. Schtschedrin hatte bis dahin nicht viel Erfahrung im Komponieren eines Balletts, lediglich sein Tanzerstling. Das buckelige Pferdchen war
elf Jahre zuvor entstanden. Die Gefahr ins Epigonentum abzurutschen und Bizet zu wörtlich zu zitieren, mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass er sich nur langsam an die Partitur heranwagte. „Dieser Stoff ist einfach untrennbar mit der Musik von Bizet verwachsen“, soll er gesagt haben, und so näherte er sich mit ironischer Distanz an den Melodienstrauß der Oper und provozierte damit bei der Uraufführung 1967 einen Skandal: Zu provokativ, zu modern war den Kulturoberen der Sowjetrepublik Schtschedrins Tonsprache. Nur Schostakowitschs Eintreten sorgte für den Verbleib auf den Spielplänen der Orchester. Mit seiner römischen Wirkungsstätte hatte Ottorini Resphighi seine Last. Aus Bologna stammend, fand er sich nur schwer im Süden zurecht, bis er sich durch seine Trilogie aus Brunnen, Pinien und Festen mit der italienischen Hauptstadt versöhnte und mit seiner Orchestermusik die Vorherrschaft der Oper in Italien beendete.
Mariss Jansons hat die Sinfonische Dichtung Pini di Roma auf dieser CD mit der Carmen-Suite gepaart. Eine vielversprechende Mischung, sind es doch beides Werke, die zu ihrer Zeit ins Neuland vorstießen. Dazu sind beide Aufnahmen Live-Mitschnitte des Orchesters aus dem Münchner Gasteig und dem Herkulessaal. Aber hier liegt auch die Schattenseite dieser CD: Die unterschiedlichen Säle nehmen der CD den Charme der Einheitlichkeit. Jeweils für sich genommen ist der Klang beider Aufnahmen makellos, aber die direkt ansprechende Akustik des Herkulessaals lässt Respighi klarer und unmittelbarer daherkommen. Hier erlebt man Jansons als den Klangzauberer, der den Charme der römischen Hauptstadt hörbar macht, ohne ins Süße abzurutschen; der den Überschwang in, aber auch das Ringen mit der Sinfonik erfrischend erlebbar macht. Dagegen hat mich Jansons Version der Carmen-Suite enttäuscht. Schtschedrin hat gerne und oft mit Arvid Jansons (dem Vater Mariss Jansons) zusammengearbeitet, auch Jansons selbst hat viel Schtschedrin auf die Programme der Sinfoniekonzerte gebracht. Mehr Gefühl für Schtschedrins charakteristische Tonsprache hätte ich da erwartet. Das Versprechen einer lebendigen und – ja auch gegen den Strich gebürsteten – Ballettmusik, das ich mir von Mariss Jansons am Pult versprochen habe, bleibt unerfüllt. Zu zahm, geradezu angepasst, plätschert die Carmen-Suite vor sich hin. Das Perkussive, der neue Blick auf die bekannten Opernmelodien, wo sind sie? Schade.
Markus Roschinski