Georges Bizet
Carmen
Live from Konzert Theater Bern, April 2018. Berner Symphonie- orchester, Ltg. Mario Venzago
Mit einer scharfkantigen Spiegelscherbe verteidigt Carmen Ehre und Körper. Sie ist keine freundlich-liebesuchende Zigeunerin, sie kämpft mit den Männern, nicht um sie. So hochemotional aufgeladen brachte Stephan Märki 2018 Bizets bekanntestes Werk auf die Berner Bühne: Als Kampf um Macht und Herrschaft, im Einzel- wie im Normalfall. Und mit Claude Eichenberger in der Titelrolle funktioniert das bestens, auch in der aufgezeichneten Variante auf CD und, besser noch, als DVD.
Im sündig-roten Jumpsuit ist Carmen hier von Anfang an eine Beschädigte, die zerlaufene Wimperntusche ist noch das Wenigste. Der Tod (Winston R. Arnon als tanzender Joker) bedrängt und befingert sie wie selbstverständlich. Gleich darauf dressiert er ein kleines Mädchen in eine solche Frauenrolle hinein. Genauso beiläufig und beleidigend rückt Moralès ( Carl Rumstadt) Micaela (Elissa Huber, eher blass) zu Leibe – ein Herrenrecht, wie er glaubt.
Damit ist für diese Berner Carmen der Ton gesetzt. Wie gehen Mann und Frau miteinander um, fragt Märki immer wieder, und, weil er die Oper ohne Dialoge spielen lässt, so rasant wie prägnant. Claude Eichenberger bringt dafür alles mit: einen warmen, aber an den Kanten geschärften Mezzo, Rebellion in Blick und Stimme.
Das Berner Symphonieorchester unter Mario Venzago begleitet sie erst mit tieftraurigen Klängen, setzt ihr eher gebremstes „Tra la la la la“ unter Feuer und lässt es gewittern, als das Drama mit Don José beginnt.
Der ist ein biederer Mama-Sohn (Xavier Moreno), den an Micaela nur die Berichte von daheim interessieren – auch der (einzige) Kuss gilt der Mutter. Eine bittere, genau gezeichnete und gesungene Szene. Dass dieser Gefühlsbeamte an der Urgewalt Carmens scheitern muss, ist früh klar und José blamiert sich bis auf die Hosenträger. Aber Moreno verrät seine Figur nie, fleht mit dunklen Tönen um Liebe, als glaube er wirklich an sie. Er gibt überzeugend keinen strahlenden, sondern einen eher rast- und ratlosen Helden. Und was ihm an Gefühlen zu fehlen scheint, steuert das Orchester unter Venzago kräftig bei: Der Kampf zwischen ihrem Wüten und seinen Illusionen klingt dort deutlich, wird auch hier als Widerstreit ausgetragen.
Schade nur, dass die Aufführung in der Totale zu dunkel ist, Nahaufnahmen müssen die Protagonisten kenntlich machen (Bildregie: Bettina Ehrhardt). Und Philipp Fürhofer, für Szene und Kostüme zuständig, tut mit aufplusternden Oberteilen nicht allen Sängerinnen einen Gefallen.
Nach all dem stimmlichen und orchestralen Aufruhr, nach einem Anzug-Chor, der vom Rang herunter zustimmend oder hämisch applaudiert, nach einem Ringkampf zwischen José und Escamillo (Jordan Shanahan) ist das Ende scheinbar beiläufig. Das Orchester peitscht die Emotionen noch einmal hoch, den Tod aber findet Carmen im Vorbeigehen, getroffen von einer Spiegelscherbe.
Ute Grundmann