Carlos Kleiber. Traces to nowhere

A Film by Eric Schulz

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: ArtHaus Musik 101 553
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 82

Er wollte nie Spuren hinterlassen. Er scheute die Öffentlichkeit und die Musikindustrie, Aufnahmen und Interviews lehnte er ab, er blieb selbstkritisch und voller Skrupel gegenüber den großen Musikschaffenden. Einsam und krank starb er bald nach seiner Frau im Nirgendwo Sloweniens.
Bruchstücke, Fetzen aus dem Leben, nein: aus dem Wirken von Carlos Kleiber wurden für diese 70-minütige DVD zusammengetragen: Ausschnitte aus den wenigen existierenden Bild- und Tonmaterialien, die insbesondere den Dirigenten und Nach-Schaffenden zeigen; Erinnerungen derer, die seinen Weg begleitet haben: Kollegen, Sänger und Instrumentalisten, Intendanten, Fotografin und Maskenbildnerin, die Schwester Veronika Kleiber und der Biograf Andreas Werner.
Geschickt versteht es Filmemacher Eric Schulz, auch kritische Äußerungen über Kleiber einzuflechten und es somit dem Zuschauer zu überlassen, sich ein eigenes Bild zu entwerfen: Kleiber, der „Womanizer“ mit zahllosen Affären; der „Diktator“; der Unzuverlässige, der Auftritte kurzfristig abgesagt und „derartig seinen Beruf geschwänzt hat“.
Niemand jedoch, nicht einmal derjenige, dem es nie vergönnt war, Carlos Kleiber persönlich zu erleben, kann sich der Macht entziehen, die aus diesen mittlerweile historischen Dokumenten spricht. Eigentümlich berühren die Äußerungen einer Brigitte Fassbaender, eines Placido Domingo, eines Otto Schenk, die die spärlichen Filmsequenzen so schlicht und tatsächlich ergreifend in Worte fassen: Kleiber, der „Ausdruckskünstler“, dessen „ästhetische Bewegung pure Musik“ gewesen sei; der Kämpfer, der „einzigartig hohe Ansprüche“ stellte und einzigartige Übergänge zu gestalten vermochte; der sich bewusst und immer mehr auf wenige Komponisten und Werke wie Beethovens Coriolan, die Vierte von Brahms und Strauss’ Rosenkavalier beschränkte, weil er sich anderes und mehr nicht zutraute – kein Verdi-Requiem, keine Mahler-Sinfonie; der Mensch, der – ganz anders als sein despotischer Vater, den er dennoch stets verehrte – mitreißende Freude an der Musik vermittelte, der mit Freundlichkeit und Vertrauen gewann; der „grandiose Verarscher“, der etwa als Boris-Becker-Imitator komödiantisches Talent bewies.
Was viele Biografien überfrachtet, kommt hier ein wenig zu kurz: Ein paar mehr Daten und Fakten, beispielsweise aus der Bayreuther, Münchner und Mailänder Zeit, wären trotz fehlender Zeugnisse wünschenswert. Über das penetrante Demonstrieren der Straße nach Nowhere und die grenzwertig kitschige Überblendung des Mondes in die Grabinschrift als Schlussbild lässt sich streiten. Unbestreitbar jedoch dokumentiert Eric Schulz hier dankenswerterweise höchst nachhaltig gerade das, was Carlos Kleiber immer erstrebte und nie zu erreichen glaubte: perfekte, individuelle, eindringliche Interpretationskunst.
Vielleicht wäre er, der, einem chinesischen Sprichwort gemäß, eigentlich keine Spuren hinterlassen wollte, doch ein wenig gelassener, wüsste er, dass es ihm gelungen ist, uns weniger auf seinen, sondern unvergesslich vielmehr auf den Spuren eines Beethoven, Brahms, Strauss folgen zu lassen.
Carola Keßler