Thomas Schipperges/Stefan Schönknecht/Ute Schwab (Hg.)

Carl Reinecke (1824-1910) und das Leipziger Musikleben seiner Zeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 61

Von Felix Mendelssohn Bartholdy gefördert, gehört Carl Rei- necke zu den zentralen Figuren, welche die Tradition des Lehrers am Leipziger Konservatorium bis ins beginnende 20. Jahrhundert fort- führten. Angesichts dieser Bedeutung ist man verwundert, dass die Forschung dieses musikhistorisch interessante Gebiet eher stiefmütterlich behandelt, und umso höher ist der Wert des vorliegenden Sammelbands, mit dem – ausgehend von einem Symposium im Jahr 2010 – das Wirken Reineckes aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird.
Gegliedert ist der Band in vier Hauptkapitel, welche grundlegende Themen im Zusammenhang mit Reineckes Leben und Wirken zum Gegenstand haben. Diesen Kapiteln sind wiederum einzelne Aufsätze als Unterkapitel zugeordnet. Am Anfang steht Reineckes Stellung im Leipziger Musikleben, das er über mehr als drei Jahrzehnte mitgeprägt hat. Eine umfassende Würdigung hierzu bildet der Aufsatz von Katrin Schmidinger (vormals Seidel). Auf mehr als 30 Seiten thematisiert sie die vielfältigen Funktionen als Gewandhauskapellmeister mit der bis heute längsten Amtszeit, als Konservatoriumslehrer sowie als Pianist und Komponist. Ebenso geht Schmi- dinger auf Reineckes Autorentätigkeit als Musikschriftsteller ein. Seine Bücher sind heute wichtige musikhistorische Quellen in Fragen der Musikanschauung des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Zahlreiche Bilddokumente garantieren ein hohes Maß an Anschaulichkeit des gesamten Bands. Der Aufsatz von Helmut Loo zu Reine- ckes Programmgestaltungs ermöglicht außerdem wichtige Einblicke in dessen Wirken im Spannungfeld zwischen Konservativen und Neudeutschen.
Ein weiteres Hauptkapitel beschäftigt sich exemplarisch mit Rei- neckes Kompositionen. Die einzelnen Aufsätze beinhalten gründliche Werkanalysen und beziehen auch stilistische und ästhetische Aspekte mit ein. Insbesondere thematisiert Hui-Mei Wang Reineckes Bezüge zur Wiener Klassik und damit zugleich sein Anknüpfen an das Erbe Mendelssohns und dessen Tradi- tionsbewusstsein. Gestützt werden die Analysen auf umfangreiche Notenbeispiele.
Besondere Erwähnung soll schließlich das Hauptkapitel IV mit dem Titel „Perspektiven“ finden. Mit den dort entwickelten Ansät- zen für ein Werkverzeichnis (Ute Schwab) und eine Briefausgabe (Joachim Draheim) werden wichtige Impulse für eine umfassendere Beschäftigung mit Reineckes Wirken, aber auch für die Erschließung von musikgeschichtlichen Details insgesamt gegeben. Gerade der letztere Aspekt würde sich angesichts Reineckes vielfältigen Kontakten und dem umfangreichen Austausch mit den Protagonisten des Musiklebens seiner Zeit in einer Briefausgabe als besonders fruchtbar erweisen.
Die vorliegende Publikation unter Mitwirkung renommierter Autoren ist somit neben den dargestellten Erkenntnissen auch als Anregungsgeberin für weitergehende wissenschaftliche Studien über Carl Reinecke zu verstehen und bietet hierfür eine solide Grundlage.

Bernd Wladika