Thomas, Werner

Carl Orff – Prometheus

Ein Werkkommentar in Beschreibung und Deutung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Orff Zentrum, München 2012
erschienen in: das Orchester 09/2014 , Seite 69

Der Musikwissenschaftler und klassische Philologe Werner Thomas, im November 2011 im Alter von 101 Jahren verstorben, war seit den 1950er Jahren Freund und enger Mitarbeiter von Carl Orff. Thomas plante einen groß angelegten Kommentar zu Orffs Gesamtwerk, konnte ihn aber nicht mehr fertigstellen. Seine Arbeiten zu Orffs Prometheus seit 1972 hat Thomas Rösch, Leiter des Orff-Zentrums in München, nach den Originalmanuskripten im vorliegenden Band zusammengefasst. Ein zusammenhängender Werkkommentar ist daraus nicht mehr geworden, eher eine interessante Materialsammlung.
Dass Werner Thomas die Entstehung des 1968 in Stuttgart uraufgeführten Werks als Ratgeber in Sachen Altgriechisch aus nächster Nähe miterlebt hat, ist dabei Vorzug und Nachteil zugleich. Er weiß Erhellendes zu sagen zur Verwurzelung des Werks in seiner Vorlage, Aischylos’ Tragödie Der gefesselte Prometheus, zu Orffs eigenwillig-wirkungsvoller rhythmischer Organisation der altgriechischen Sprache und zum verwendeten Instrumentarium, bei dem außer der elektronischen Orgel vor allem die  Perkussionsinstrumente aus aller Welt auffallen. Jede der neun Szenen wird anhand von Notenbeispielen aus der Partitur charakterisiert, allerdings in sehr unterschiedlicher Länge; der Schwerpunkt liegt hier auf Szene 6, dem Dialog zwischen dem Rebellen und Menschenfreund Prometheus und der unglücklichen, von Zeus’ Begehren verfolgten Königstochter Io. Am Ende stehen Überlegungen zur Idee des Tragischen bei Aischylos und bei Orff.
Thomas’ Arbeit dürfte wertvoll und anregend für jeden sein, der sich intensiv mit dem Werk befassen oder es gar aufführen will. Weniger geeignet scheint es, einen Leser für das Werk neu zu interessieren. Im Musikleben wirkt Orffs Prometheus mit seiner altgriechischen Sprache, seiner pathetischen 1960er-Jahre-Diktion und seiner Handlungsarmut schon seit Längerem seltsam hermetisch und fremd. Die Aufführungsliste am Ende des Bandes verzeichnet die jüngsten Inszenierungen in den Jahren 1981, 1995 und 2012. Die Aufführung 2012 bei der Ruhrtriennale beschrieb ein Rezensent als betäubende feierliche Zeremonie, als „Hochamt für jeden Gräzisten“. Wer heute Orffs Musiktheater jenseits der populären Carmina Burana am Leben erhalten will, braucht aber im Publikum nicht einige wenige Gläubige, sondern viele Neugierige, und in der Orff-Forschung neben alten Insidern auch mutige Brückenbauer. Gesucht sind „Lichtbringer“ (wie der Titelheld Prometheus), die Werner Thomas’ verdienstvolle Studien in die Gegenwart weiterdenken.

Andreas Hauff

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