Janetzki, Christhard

Caprice belgique

für Englischhorn und Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Wolfgang G. Haas Musikverlag, Köln 2014
erschienen in: das Orchester 09/2014 , Seite 76

Schon das Schriftbild wirkt anziehend: klare Gliederung, formale Balance, prägnante Rhythmik, polyfon eingebundenes Melos, harmonisches Gefälle, musikantischer Duktus. Sind das nicht die Tugenden der Hindemith-Schule? Tatsächlich findet sich unter den Lehrern des Autors ein Komponist, der ihr entstammt: Bertold Hummel.
Janetzki wurde 1959 in Oberschlesien geboren. Mit sechs Jahren schon nahm ihn das Karol-Szymanowski-Konservatorium Kattowitz als Klavierschüler auf. 1970 emigrierte die Familie in die Bundesrepublik. Nach dem Abitur studierte er Klavier und Komposition in Darmstadt und Würzburg. Ergänzende Studien führten ihn zu Beat Furrer in Zürich und ans Royal Northern College of Music in Manchester. In Zürich rundete er auch seine pianistische Ausbildung ab. Zudem besuchte er die Grazer Dirigentenwerkstatt und das Conductors’ Institute der University of Hartford/USA. Seit 1998 Pianist und Repetitor des Berliner Kammerorchesters, berief ihn das Darmstädter Kammersinfonieorchester 2009 zum künstlerischen Leiter. Als Komponist errang er Wettbewerbspreise in Turin und Ragusa (Sizilien).
Wie vom Autor zu erfahren, huldigt das Caprice belgique (oder Caprice belge?) dem Humor und der Lebenslaune der Flamen wie auch dem Tonfall einiger Komponisten, deren Musik er in Belgien für sich entdeckte. Das viereinhalb-minütige Charakterstück im 6/8-Takt ist rhapsodisch angelegt. Es gliedert sich in sechs ineinander übergehende Abschnitte. Die 18-taktige Einleitung beginnt mit einem anmutig gewellten Bewegungsspiel des Klaviers, bevor das Englischhorn es motivisch zerlegt und abwandelt. Nach einer Fermate setzt in Takt 19 mit Auftakt (Doppelschlagsfigur) der tändelnde Hauptgedanke ein, vorgetragen vom Englischhorn (2. Werkabschnitt), bevor das Klavier ihn figurativ umspielt und imitiert (T. 27 bis 35). Dann kommt das Klavier auf das Motivspiel der Einleitung zurück, während das Englischhorn den kapriziösen Hauptgedanken variiert. Mit einer Variante des Caprice-Themas beginnt mit Takt 43 der dritte, durchführungsartige Formabschnitt, wo sich Klavier und Blasinstrument imitierend die Motivbälle zuwerfen. Bei Takt 55 übernimmt das Blasinstrument erneut die Führung und treibt das Spielgeschehen auf einen dramatischen Gipfel zu, der rasch und unvermittelt in eine leise, geheimnisvolle Klangszene umschlägt – mit ostinat tremolierenden Klavierbässen und trockenen Staccato-Tupfern im Diskant zu quirligen Bläserfiguren.
Nach einer weiteren Fermate beginnt mit Takt 80 (Abschnitt 5) gleichsam das Herzstück des Caprice: eine Fête galante motivischer Variationen, von Englischhorn und Klavier gemeinsam betrieben. Auch diese läuft auf einen dynamischen Höhepunkt zu. Ihr letzter Klavieraufschwung im Unisono fungiert quasi als Türöffner der kurzen, lebhaften Coda: beschleunigte Rückerinnerung an das Hauptthema mit brillant variierenden Figurationen des Englischhorns – rhythmisch markant begleitet und schillernd ausharmonisiert vom Klavier.
Die rare Besetzung, der beschwingte Grundton und die instrumentengerechte Setzweise empfehlen das Caprice als Vortragsstück für Konzert und Hochschulunterricht.
Lutz Lesle