Freidlin, Jan

Capriccio brioso

for Violin and Piano

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Dohr, Köln 2010
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 73

Der 1944 in Sibirien geborene Jan Freidlin unterrichtet heute am Levinsky College of Music in Tel Aviv. Sein 2010 neu erschienenes, technisch und musikalisch anspruchsvolles Capriccio brioso ist dem Geiger Lazar Gantman gewidmet. Dieser hat es bereits im Dezember 2008 mit dem Pianisten Aaron Goldberg in Tel Aviv uraufgeführt.
Die überaus reizvolle und anspruchsvolle Komposition erfordert von den Ausführenden hohe technische und klanggestalterische Souveränität. Ein mit „marschierenden“ Achtelschlägen unterlegtes rhythmisch akzentuiertes Eingangsmotiv entführt den Geiger gleich zu Beginn in einen Flow voller spielfreudiger Lebendigkeit. Insofern ist die Tempo- und Satzbezeichnung „Vivace ritmico“ eine treffende Illustration des Titels der Komposition. Präzise Artikulation und sicheres Akkordspiel erzeugen einen klanglichen Fluss, der nach 127 Takten in einer ersten improvisatorischen Violinkadenz mündet. Diese leitet aus dem Eingangsmotiv mit staccatissimo, pizzicato und Col-legno-Spiel in einen klanglich völlig anders gestalteten Scherzoteil im 2/4-Takt über. Wiederum unterlegt das Piano nun eine temperamentvoll im Pizzicato bis an die klangliche Belastungsgrenze gebrachte Violine. Nahezu unvereinbar erscheinende Spielbezeichnungen wie Vibrato molto im Pianopizzikato auf der D-Saite bei Scherzotempo, unterbrochen von sfz-Schlägen auf Einzeltönen erzeugen einen bizarren Ductus.
Meno mosso zerfällt diese Fahrt, um sich in einen auf Klangflächen ruhenden Andanteteil aufzulösen. Dieser animiert den Violinisten zu einem tonintensiven Spiel, das sul G bis zur 3. Oktave auf der E-Saite umfasst und in Flageolettklängen endet. Nach einer weiteren Kadenz, in welcher der rhythmische und motivische Anfangsduktus aufgegriffen wird, kehrt das Stück repriseartig an den Beginn zurück, um in einem fulminanten „Akzentfinale“ zu schließen. Spieltechniken wie sul ponticello, col legno, glissandi in den Flageolettbereich hinein, pizzicato-ponticello sowie große dynamische Amplituden mit Accelerandi und Ritardandi zwischen moderato und presto innerhalb weniger Takte bringen die Violine bis an die Grenze ihrer Klangfähigkeit. Von den Spielern beider Instrumente verlangt die Komposition insbesondere rhythmisch-musikalische, gemeinschaftliche Präzision wie auch agogische Abstimmung.
Das Stück ist eine Herausforderung für jedes Violin-Piano-Duo. Gleichzeitig bildet es eine kompositorische Bereicherung des Angebots an zeitgenössischer Musik, die durchaus auf traditionelle musikalische wie technische Mittel zurückgreift. Insbesondere jungen Musikerinnen und Musikern auf der Suche nach neuem musikalischem Material ist hier eine Empfehlung auszusprechen.
Uwe Gäb