Schostakowitsch, Dmitri / Peteris Vasks

Canto Perpetuo

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler PH 12045
erschienen in: das Orchester 03/2013 , Seite 76

Dies ist die vierte CD des Boulanger Trios, einer der renommiertesten und kompetentesten deutschen Klaviertrio-Formationen. Die drei Musikerinnen – Karla Haltenwanger (Klavier), Birgit Erz (Violine) und Ilona Kindt (Violoncello) – haben sich immer auch mit zeitgenössischer Musik auseinandergesetzt, und die Kombination der beiden Klaviertrios Dmitri Schostakowitschs mit der achtteiligen Komposition Episodi e canto perpetuo des Letten Peteris Vasks ergibt musikalischen Sinn und weiß auch interpretatorisch über weite Strecken vollends zu überzeugen.
Das Olivier Messiaen gewidmete Werk von Vasks ist in vielerlei Hinsicht typisch für den unmittelbar ansprechenden und berührenden Personalstil dieses Tonsetzers. Es beschreibt, auf den Spuren der Romantik, “eine schwere Reise durch Elend, Enttäusschung und Leiden der Liebe entgegen, die den Schwerpunkt des canto bildet”, wie Vasks es formuliert. In den ersten sechs Abschnitten werden durchweg die dunklen Bezirke des Lebens musikalisch abgebildet, in einer tragisch-aggressiven, oft auch ätzend skurrilen Tonsprache, in der Elemente der Avantgarde (Geräuscheffekte, Cluster) stets dazu benutzt werden, den emotionalen Gehalt des Gesagten zu verdeutlichen.
Den Musikerinnen des Boulanger Trios gelingt es hervorragend, aus dieser kaleidoskopischen Satzfolge die kompositorische Grundaussage herauszufiltern, Einheit zu schaffen, ohne die zahlreichen Ecken und Kanten zu glätten, und schlussendlich die innige, nun tonal beruhigte Lyrik des abschließenden Canto Perpetuo als logischen, quasi einzig möglichen Zielpunkt des vorausgegangenen Chaos regelrecht leuchten zu lassen. Mithin eine mehr als adäquate Interpretation der Musik eines Komponisten, der es als seine Aufgabe ansieht, “in diese Welt mehr Licht zu bringen”.
Imponierenden formalen Überblick beweist das Trio auch in Schostakowitschs erstem Klaviertrio, das der Komponist als Siebzehnjähriger komponierte. Noch nicht ganz reif und etwas episodisch wirkt das Werk, doch in der vorliegenden Interpretation erwächst es als schlüssige architektonische Einheit aus den Händen der Musikerinnen, die auch dem gelegentlich bereits aufscheinenden sardonischen Humor Schostakowitschs nichts schuldig bleiben. Lediglich das Klaviertrio Nr. 2, eines der packends­ten Kammermusikwerke nicht nur Schostakowitschs, sondern der Musik des 20. Jahrhunderts überhaupt, könnte mehr Biss zeigen, als das Boulanger Trio hier aufbringt. Sicherlich gewinnt die Musik Schostakowitschs nicht, wenn man jeden einzelnen Takt mit außermusikalischer bzw. vermeintlich autobiografischer Bedeutung auflädt, doch insbesondere das Finale kommt bei den Boulanger-Damen doch ein wenig zu sachlich und domestiziert daher. Nichtsdestoweniger nehmen auch hier klangliche Homogenität und bewundernswerter Ensemblegeist für sich ein.

Thomas Schulz