Charles Gounod
Cantates et musique sacrée
Collection Prix de Rome vol. 6. Collection Prix de Rome vol. 6, Flemish Radio Choir, Brussels Philharmonic, Ltg. Hervé Niquet
Alle Wege führen nach Rom für französische Komponisten war das jahrzehntelang mehr als ein geflügeltes Wort. Der Prix de Rome, vergeben von der Académie de France in Rom, galt als erste Stufe der Karriereleiter. Die Auszeichnung, verliehen für die Komposition einer umfangreichen Kantate, bescherte dem Glücklichen ein Stipendium in der legendären Villa Medici in Rom, die Napoleon 1803 für den französischen Staat angekauft hatte. Seitdem wurde der Prix de Rome auch in der Sparte Musik verliehen (zuvor nur für Literatur und Bildende Künste).
Die Liste der Preisträger verzeichnet viele berühmte Namen, von Hector Berlioz bis Henri Dutilleux, aber mindestens ebenso viele, die in den Weiten der Musikgeschichte verschwunden sind. Den prominenteren Figuren widmet sich die Collection Prix de Rome, die vom Centre de musique romantique française mit Sitz im Palazzetto Bru Zane in Venedig herausgegeben wird. Monografien über Claude Debussy, Camille Saint-Saëns, Gustave Charpentier, Max dOllone und Paul Dukas sind bereits erschienen.
Gounod brauchte zwar nicht wie Hector Berlioz vier, aber immerhin drei Anläufe, um Rom-Preisträger zu werden. 1839 brachte ihm die lyrische Szene Fernand den ersehnten Erfolg. Es geht um den Großmut von Don Fernand gleich Ferdinand V., der den eigenen Tod in Kauf nimmt, um einem liebenden Paar die Flucht zu ermöglichen. Historisches Umfeld ist die unter maurischer Herrschaft stehende Stadt Granada kurz vor ihrem Fall 1492.
Neu für Gounod war, dass er seine Komposition auf ein geändertes Regelwerk ausrichten musste. Ab 1839 verlangte der Concours nämlich drei Personen statt der bisher üblichen Sopran- und Tenorpartie, wie der wissenschaftliche Leiter des Palazzetto Bru Zane, Alexandre Dratwicki, in einem erhellenden Essay erläutert. Der thematisiert aber nicht nur das preisgekrönte Werk, sondern auch die beiden vorausgegangenen Versuche Maria Stuart et Rizzio (1837) und La Vendetta (1838). Alle drei finden sich auf einer dem Buch beigefügten CD, eingespielt von den Brüsseler Philharmonikern unter Leitung von Hervé Niquet und einer respektablen Solistenriege.
Sein mit dem Preis verbundener Studienaufenthalt in Rom verstärkte bei Gounod seine tiefe Religiosität. Einige der Werke, die während dieser Zeit entstanden, finden sich auf einer zweiten, dem Buch beigefügten CD, so die Messe de Saint-Louis-des-Français, die Messe vocale (in der die Strahlkraft und fabelhafte Klangkultur des Flemish Radio Choir besonders zur Geltung kommen) oder die Hymne sacrée. Auch über dieses Themenfeld informiert ein kundiger Essay. Gounod erlebte in der Villa Medici das Ende der Amtszeit von Jean-Auguste-Dominique Ingres, der von 1835 bis 1841 Direktor der Villa Medici war. Dessen Wirken nimmt der dritte Beitrag in den Blick. Der in limitierter Auflage gedruckte Band ist zweisprachig (französisch englisch) und dank des aparten Jugendstildesigns auf dem Einband auch eine Augenweide.
Mathias Nofze