Penderecki, Krzysztof

Cantate Domino

Opere complete per coro a cappella, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 69

An Penderecki scheiden sich die Geister. Verfechter seines frühen Werks, das mit vielfältiger Clustertechnik und Geräuschhaftem exponierte Beispiele für Klangfarbenkompositionen des Postserialismus der 1960er Jahre enthält, sind entsetzt über seine Hinwendung zu Traditionalismen in den Jahrzehnten danach. Dabei war sein Hang zur Einbeziehung der Tradition bereits in avancierteren Werken angelegt, z.B. seiner berühmten Lukas-Passion. Auch schien vielen Verfechtern Neuer Musik Pendereckis Erfolg suspekt, es gibt kaum einen Komponisten, der über Jahrzehnte hinweg eine solch große Zahl an Aufträgen und Preisen erhalten hat wie er. Seine Schreibweise zielt auf große Wirkung ab, auf klangliche Überwältigung zwischen Pathos und Entsetzen.
Der vorliegende Band enthält die bisherigen A-cappella-Chorwerke Pendereckis (Ecloga VIII fehlt). Gestreckt über einen Zeitraum von 55 Jahren in chronologischer Reihenfolge spiegeln sie seine kompositorische Entwicklung wider. Nur drei Stücke sind nicht geistlichen Ursprungs, darunter mit einer Aria für Summchor eine Barock-Stilkopie. Vier Stücke stammen aus der Lukas-Passion, das gewichtige Stabat mater (auf dessen Höhepunkt ein 12-töniger Akkord erklingt, am Schluss ein D-Dur-Dreiklang) wurde bereits 1962 komponiert und erst danach in die Passion integriert. Aus diesem Tatbestand könnte sich eine separate Sammlung von A-cappella-Stücken begründen, aus weiteren Zyklen wie Aus den Psalmen Davids oder Utrenja werden nur die unbegleiteten Chorstücke herausgenommen. Die Technik der Chorbehandlung jedoch bleibt bei instrumental begleiteten Chören prinzipiell gleich, insofern kommt dieser Sammlung keine Eigenständigkeit innerhalb des Werks Pendereckis zu.
Trotz der stilistischen Unterschiede gibt es sich durchziehende Gemeinsamkeiten: so z.B. die Vorliebe für ruhige Tempi, aus wenigen Tönen bestehende melodische Keimzellen (die auf das Mittelalter verweisen), Liegetöne mit bestimmten Intervallbeziehungen und Clusterbildungen, oft auch psalmodierendes Sprechen. Wenn ein Werk wie das Agnus Dei aus dem Polnischen Requiem (1981) sich auch sehr tonal entfaltet (f-äolisch), ist der Weg zum Cluster stets präsent: Eine chromatisierte Steigerungs- passage mündet in einen achttönigen Akkord, einen chorisch weit aufge- fächerten Aufschrei. Das Benedictus für Frauenchor (Bestandteil einer aus verschiedenen Jahren stammenden Missa brevis) zeigt hingegen keinerlei Modernität mehr, hier herrscht konservativer Schönklang. Auch in der Linearität eifert Penderecki in einigen Sätzen der Renaissance nach. Der Band enthält auch vor kürzester Zeit geschriebene Stücke, er ist im Jahr des 80. Geburtstags des Komponisten erschienen.
Cantate Domino bietet für Chorleiter einen umfassenden Überblick über Pendereckis A-cappella-Werke, er eignet sich zum Auswählen wie auch zum Dirigieren, da das Druckbild sehr gut lesbar ist. Auch für Stu-
dienzwecke ist er sehr nützlich, da die Entwicklungen des Komponisten
in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten praktisch handhabbar werden. Trotz der Kritik an ihm bleibt Penderecki einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart.
Christian Kuntze-Krakau