Stanisław Moniuszko
Cantatas Milda/Nijoła
Soloists, Podlasie Opera and Philharmonic Choir, Poznan Philharmonic Orchestra, Ltg. Łukasz Borowicz
Diese neue Doppel-CD ist ein erfreulicher Nachschlag zum 2019 gefeierten 200. Geburtstag des bedeutenden polnischen Komponisten Stanisław Moniuszko (1819-1872). Von 1839 bis 1858 lebte und arbeitete er in Vilnius, der historischen und heutigen Hauptstadt Litauens, denn die Kultursprache dort war damals nicht Litauisch, sondern Polnisch. In Vilnius schuf Moniuszko nicht nur eine erste Fassung seiner polnischen Nationaloper Halka, sondern auch seine beiden Kantaten Milda (1848) und Nijoła (1852). Moniuszko fand die Gattung der Kantate derjenigen der Oper überlegen, denn sie biete mehr poetische Freiheit („man ist weder in der Länge der Zeit gebunden, noch im Wechsel des Ortes und der Zahl der Personen“) und man sei dabei nicht von den Leuten hinter der Bühne abhängig.
Milda, die ihr Schöpfer für seine beste Komposition hielt, war das erste Werk der Musikgeschichte, in dem die alte heidnische litauische Mythologie verwendet wurde, wenn auch noch in polnischer Sprache (eine eigenständige litauische Kunstmusik entstand erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts). Die Texte schrieb Moniuszko selbst mit Hilfe von Edward Chłopicki nach dem seinerzeit sehr bekannten Epos Witolorauda von Józef Ignacy Kraszewski. Die Liebesgöttin Milda ist die Tochter des Donnergottes Perkun. Als die Göttin der Morgenröte entdeckt, dass Milda von dem Sterblichen Romojs verführt wurde, verflucht der Göttervater beide. Nijoła erzählt dann die Vorgeschichte zu Milda: Angelockt von den Vandines (Wassernymphen), steigt die Sterbliche Nijoła (laut Moniuszko „die litauische Persephone“) in den Fluss Rossa, um die Blume der Glückseligkeit zu pflücken, mit der sie die Sorgen ihrer königlichen Mutter Krumine beruhigen möchte. Dort erwartet Nijoła aber der in sie verliebte Unterweltgott Poklus, der sie in die Tiefe zieht. Zeitgleich mit Richard Wagner, aber unabhängig von diesem, wandte sich Moniuszko der Mythologie zu und verwischte weiter den Unterschied zwischen Rezitativ und Arie. Außerdem teilte er die solistischen Gesangspartien auf in Erzähler (Mezzosopran und Tenor in Milda, Bariton in Nijoła) und handelnde Personen, wobei alle auch lyrische Anteile haben. Nach anderthalb Jahrhunderten als „Lexikon-Leichen“ werden die beiden vorzüglichen Werke mit diesen Ersteinspielungen endlich wieder zum Leben erweckt. Der Dirigent Łukasz Borowicz meint im Beiheft (das leider nur auf Polnisch mit einer etwas holprigen englischen Übersetzung verfasst ist), man habe sich dabei um textkritische und aufführungspraktische Genauigkeit bemüht, ohne dies näher auszuführen. Jedenfalls kommt die diskrete Romantik dieser Musik sehr schön herüber, auch in den klar leuchtenden Orchesterfarben.
Ingo Hoddick