Johann Sebastian Bach

Cantatas for Bass

Stephan MacLeod (Bass und Ltg.), Gli Angeli Genève

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Claves
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 69

Drei der vier hier vorgestellten Solokantaten für Bass handeln von der Sehnsucht nach dem Ende allen Leidens, dem freudig erwarteten Tod als Ort der Ruhe und der Seligkeit. Die Kreuzstab-Kantate (BWV 56) und Ich habe genug (BWV 82) komponierte Bach im Abstand weniger Monate 1726/27 auf Texte eines Leipziger Studenten. Für die Letztere sind weitere Fassungen ­belegt, darunter eine transponierte Fassung für Sopran und Flöte statt Oboe als Soloinstrument. Die „Schlummert ein“-Arie fand, um die Ritornelle gekürzt, als Generalbasslied Eingang in das Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach. Eine später hinzugefügte Oboe-da-caccia-Stimme, die die erste Violine in dieser Arie verstärkt und mit zahlreichen Vorhalten angereichert ist, bleibt heute in den allermeisten Fällen, so auch hier, unberücksichtigt.
Mit ihrer starken Expressivität, verbunden mit einer großen Spannweite von Affekten, haben diese Kantaten im Konzert wie auch auf Tonträgern weite Verbreitung gefunden. Die kurze Kantate Der Friede sei mit dir (BWV 158) besteht aus einer einzigen Arie, umrahmt von Rezitativen, den Abschluss bildet ein schlichter Choralsatz. Sie ist nur in einer Abschrift von fremder Hand überliefert, wahrscheinlich mit einigen Eingriffen und unvollständig. Möglicherweise gehörten ihre Teile ursprünglich nicht zusammen. Das Violinsolo der Arie deutet dem Tonumfang und der Faktur nach eher auf die Querflöte. So springt ein melodisch zu erwartendes cis’, das auf der barocken Querflöte nicht vorhanden war, in die obere Oktave (Takt 90). Dies wurde in der vorliegenden Aufnahme sinnvoll „korrigiert“. Die Arie „Welt ade! ich bin dein müde“ in­tegriert die gleichnamige Choralmelodie, vorgetragen von Oboe und Sopran; sie zählt zu den eindrucksvollsten Arien Bachs.
In eine völlig andere Sphäre führt die italienische Kantate Amore traditore (BWV 203). In zwei Arien, verbunden durch ein kurzes Rezitativ, beklagt ein unglücklicher Liebhaber sein Geschick, nur vom Cembalo begleitet, zunächst als Basso continuo, in der zweiten Arie als konzertantes Solo. Überliefert ist diese Kantate in einer sekundären Abschrift. Ob Bach sie komponiert hat, ob er sie nur abschrieb und vielleicht bearbeitete oder ob es sich um eine Fehlzuschreibung handelt, ist umstritten. Ein Blick auf Einklangsparallelen zwischen Singstimme und Bass, auf ungeschickte Stimmkreuzungen, auf vollgriffige Akkorde in oft sehr tiefer Lage sollte genügen, um Bach als Autor auszuschließen.
Stephan MacLeod und sein ­stilistisch überaus kompetentes ­Barockensemble präsentieren die Werke makellos homogen, durchhörbar in allen Stimmen. Allerdings bleibt MacLeod den kontrastierenden Affekten mit seiner geradlinigen Gestaltung einiges schuldig. Eine Überraschung bringt zum Schluss die italienische Kantate: Der Cembalist Bertrand Cuiller erfüllt die bizarre Generalbassstimme mit Fantasie und Geschick, entfesselt ein virtuoses Feuerwerk und beschließt die Schlussritornelle beider Arien mit launigen Varianten.
Jürgen Hinz