Sergei Prokofiev
Cantata for the 20th Anniversary of the October Revolution
Ernst Senff Chor Berlin, Staats- kapelle Weimar, Mitglieder des Luftwaffenmusikkorps Erfurt, Ltg. Kirill Karabits
Sergej Prokofjews Kantate zur Oktoberrevolution op. 74 thematisiert kunstvoll und spannend Texte vom Kommunistischen Manifest (1848) bis zur sowjetischen Verfassung (1936). Damit wird die 100-jährige Revolutionsgeschichte in wahrhaft packender Weise sichtbar. Der Komponist verwendet in seiner robusten Kantate einen harten und rauen Stil. Davon zeugt auch die ungewöhnliche Besetzung mit Akkordeons und Schlaginstrumenten, deren Staccato-Attacken unter die Haut gehen. Geräuschinstrumente wie Kanonenschüsse, Alarmglocken, Maschinengewehre und Sirenengeheul schaffen hier einen aufwühlenden Klangkosmos, den der fulminante Ernst Senff Chor Berlin, die differenziert musizierende Staatskapelle Weimar und Mitglieder des Luftwaffenmusikkorps Erfurt unter der eruptiven Leitung von Kirill Karabits sehr transparent und mitreißend interpretieren.
Bei der sowjetischen Führung kam dieser futuristische Stil nicht gut an. Die Vertreter des Komitees für Kunstangelegenheiten waren vom Klang der Reden Lenins in Verbindung mit Prokofjews Musik irritiert. Prokofjew wollte übrigens auch die Effekte von Gefechten in abwechslungsreicher Weise vertonen, was bei dieser Aufnahme vom Kunstfest Weimar 2017 auch überzeugend zu Gehör kommt. Die reizvolle Sprunghaftigkeit der Harmonik macht sich bei dieser fieberhaft-elektrisierenden Interpretation ebenfalls in feuriger Weise bemerkbar. Dynamische Prozesse zeichnet Kirill Karabits mit dem Ensemble in eindrucksvoller Weise nach. Die Revolutionsgeschichte und die Geschichte der Sowjetunion nehmen dadurch erregende Gestalt an.
Melodisch ist dieses seltsame Werk aber auch interessant. Es herrscht eine unimpressionistische, geradezu gläserne Konturenschärfe vor. Der russische Ton wird oftmals nur wenig verhüllt. Stürmischer Schwung und dynamische Vehemenz setzen sich in den gewaltig ausufernden Chorsätzen klar durch. Leidenschaftlich gejagte Tempi schaffen ganz bewusst Klanggegensätze.
Gelegentlich merkt man der Komposition an, dass sie immer wieder überarbeitet wurde: Die Zensur übte auf Prokofjew einen immensen Druck aus. Und ebenso wird deutlich, wie zerrissen Prokofjew als Künstler war, der immer wieder zwischen der künstlerischen Freiheit eines Weltbürgers und dem krassen sozialistischen Realismus eines Sowjetbürgers schwankte. Dirigent Kirill Karabits betont diese Gegensätze mit greller Präzision. Die Kantate ist Prokofjews tragisch-verzweifelter Versuch, sich einem grausamen Regime anzupassen. Gelegentlich blitzen sogar Assoziationen zu Prokofjews Filmmusiken (Alexander Newskij, Iwan der Gestrenge) auf. Die Kühnheit der Sprache verbindet sich mit einer intensiven Melodik. Expressiven Tonfall und klar überschaubare Formen macht vor allem der Ernst Senff Chor Berlin in packender Weise deutlich. Die Tonqualität ist gut, doch gelegentlich könnte die räumliche Dynamik noch deutlicher zu Gehör kommen.
Alexander Walther