Schnack, Gerd
Burnout – Prüfungsstress – Lampenfieber
Gesundheitsrituale für Musiker
Musik ist für viele Menschen eine wichtige Quelle für Erholung, Freude, Inspiration und Begegnung. Dass diejenigen, die die Musik zum Klingen bringen, einen hochanstrengenden Beruf haben, ist Hörern nicht unbedingt immer präsent. Dabei ist die körperliche und psychische Beanspruchung von Profimusikern durchaus derjenigen von Leistungssportlern vergleichbar. Allerdings mit dem Unterschied, dass nur wenige Ausnahmesportler (je nach Sportart) noch jenseits der 40 professionell aktiv sind. Und wenn die Profiathleten ganz gezielt Leistungskurven hin zu internationalen Wettkämpfen aufbauen, so sind im Gegensatz dazu diejenigen, die im Rampenlicht einer Bühne stehen, Abend für Abend angehalten, ihre persönliche Bestleistung zu präsentieren.
Der Hamburger Chirurg Gerd Schnack setzte mit seinem 1994 erschienenen Band Entspannt Musizieren wichtige Impulse für die Gesunderhaltung von Berufsmusikern. Im Titel seines neuesten Buchs Burnout Prüfungsstress Lampenfieber fokussiert er nun wichtige Belastungsszenarien im Musikeralltag. Fundiert erläutert Schnack die Auswirkungen verschiedener Stressfaktoren, die auch vor Berufsmusikern nicht Halt machen. Kenntnisreich weist er auf die Diskrepanz hin, dass gerade Orchestermusiker auf der einen Seite durch stundenlanges Stillsitzen statisch sehr beansprucht sind, während gleichzeitig kleine und kleinste Muskelgruppen hochdynamisch gefordert werden, ganz zu schweigen von der enormen psychischen Anspannung in einem Berufsumfeld, das gravierende Fehler nur schwer verzeiht.
Das Lösungsangebot, das der Autor seinen Lesern vorstellt, umfasst zum einen ganz praktische physiotherapeutische Interventionen, aber auch neurophysiologische Stimulationstechniken mit dem Ziel, die Aktivität des Vagusnervs zu steigern, der der Gegenspieler des Sympathikusnervs ist und bei Flucht- und Kampfreaktionen, im weiteren Sinn also bei Stressreaktionen, aktiv ist. Schnack ist es dabei sehr wichtig, dass die vorgestellten Übungen leicht und schnell, ganz autonom ohne die Hilfe Dritter umsetzbar sind. Das gelingt ihm durch einfache und klar verständliche Anleitungen, zudem mit sehr instruktiven Illustrationen. Ziel ist es, die Übungsmuster soweit zu verinnerlichen, dass sie automatisch abrufbar werden, dass sie Ritualcharakter erhalten.
Seiner präventiven Grundhaltung treu, vertritt der Autor ein ganzheitlich ausgerichtetes Medizinkonzept. Mit großem Engagement erläutert er plausibel, wie körperliche Reize mit vegetativen und psychischen Prozessen interagieren. Ob aber die hier empfohlene Vagusstimulation das uralte Geheimnis der Meditation lüftet und ob wir damit die wirksamste Waffe im Kampf gegen Burnout zur Verfügung haben, möchte ich eher als Hypothese verstanden wissen. Allein schon deswegen, weil Burnout nicht immer nur die Thematik des Einzelnen ist, sondern sich im Rahmen von Institutionen ereignet, und weil die meisten Menschen mit langer Meditationspraxis den Begriff des Kampfs in achtsamkeitsbasierten Kontexten wohl eher als Widerspruch einstufen würden.
Peer Abilgaard