Hinrichsen, Hans Joachim

Bruckners Sinfonien

Ein musikalischer Werkführer

Rubrik: Bücher
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 58

Einen sicheren Pfad durch den dichten Dschungel der elf Sinfonien und deren Fassungen von Anton Bruckner bietet der neue musikalische Werkführer von Hans-Joachim Hinrichsen. Kompakt auf etwa 130 Seiten – so das Konzept der Beck’schen Wissens-Reihe – ist die Genese der Sinfonien des oberösterreichischen Meisters sehr eindrucksvoll, präzis mit wissenschaftlicher Akribie und dicht beschrieben, spannend wie anschaulich mit viel Liebe zum Detail dargestellt. Man braucht nicht unbedingt die Noten vor sich, Voraussetzung ist selbstverständlich die Kenntnis der Werke, welche während des Lesens im Ohr nachzutönen scheinen.
Nach der kurzen Einführung über das 19. Jahrhundert und die Sinfonie mit dem „Finale-Problem“ seit Beethoven, weiter über Bruckners langem Weg zu ihr, dessen sinfonisches und „schlüssiges“ Gesamt­konzept und das Problem mit den Fassungen, gelangt Hinrichsen chronologisch zu den einzelnen Werken, skizziert ihren jeweiligen Entstehungszusammenhang bis hin zu den lesenswerten analytischen Beschreibungen, ohne den Blick für das Gesamtwerk und Bruckners Lebenswirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Kleine Anmerkungen zur Rezeption, Tabellen zum Arbeitsprozess und eine kleine Bibliografie runden das mit Wissen geballte Büchlein ab.
Dabei nahm Hinrichsen, der sich über die Sonatenhauptsatzform bei Schubert bereits früh einen Namen machte, beispielsweise auch das Studienbuch des Unterrichts bei Kapellmeister Otto Kitzler zur Hand und zeigt, wie das eine traditionelle Auffassung verfolgende Formenlehrbuch von Johann Christian Lobe eine erhebliche und substanziell musiktheoretische Bedeutung in Bruckners Formdenken hinterließ, weil er die „Gliederung der Sonatenform“ stets in nur zwei Teilen (bei Bruckner „Abteilungen“) komponierte und so seine Idealvorstellung von Sinfonie mit drei beziehungsreichen Themengruppen konsequent und systematisch verfolgte. „Die Monumentalität seiner sinfonischen Großwerke hat eine akribisch durchgeplante Innenseite. Sie ist es, die nicht nur die klare Gliederung der Expositionsphasen, sondern auch die präzis kalkulierten Steigerungen möglich macht – eine Struktur, die die umfassenden Reparaturarbeiten an den späteren Fassungen sehr erleichterte, wenn nicht überhaupt erst erlaubte.“ Fassungen, die ihn allerdings viel Kraft und die Nachwelt das Finale der Neunten kostete.
Der Weg seines sinfonischen Gesamtkonzepts erscheint indes nur im Nachhinein geradlinig, den Hinrichsen mit der „Annulierten“ Sinfonie (früher fälschlicherweise die „Nullte“) überzeugend zeigt:
Resümierend stellt er fest, den eingeschlagenen Pfad habe Bruckner wohl als Sackgasse empfunden und mit ihrer Ausscheidung seinen Weg nachträglich begradigt. Zuletzt wagte er sich mit der Neunten an Grenzen heran, von denen „die klangliche Imagination des schlechthin Erschreckenden die wohl beunruhigendste ist“. Abschließend fordert Hinrichsen den Hörer auf, die Sinfonien trotz aller Rezeptionsklischees „im eigentlichen Sinne erst noch zu entdecken“.
Werner Bodendorff

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