Thomas Frenzel (Hg.)
Breitkopf & Härtel
300 Jahre europäische Musik- und Kulturgeschichte
Breitkopf & Härtel war und ist mehr als ein Musikverleger. Anders als zum Beispiel das italienische Haus Ricordi, dessen Alleinstellungsmerkmal die italienische Oper des langen 19. Jahrhunderts war, umfassten die Abteilungen von Breitkopf & Härtel viel mehr als Notenstich und Musikedition, mit denen man das Unternehmen heute vor allem verbindet.
Verlagsleiter Nick Pfefferkorn und Sebastian Mohr, Vorstand der Breitkopf & Härtel-Stiftung, ermöglichten zum Jubiläum eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Anthologie. Der „Übergriff“ auf die Kulturgeschichte erfolgt mit vollem Recht. Neben dem Verlagswesen vertrieb die Firma Klaviere und stieg Anfang des 19. Jahrhundert selbst in die Produktion ein.
Breitkopf & Härtel war Kunstverleger und Herausgeber z.B. des Mappenwerks Kriegergestalten und Todesgewalten des Karl-May-Illustrators Sascha Schneider. Erstausgaben von zwei der erfolgreichsten Longseller der deutschen Belletristik, Richard von Volkmann-Leanders Kunstmärchen-Anthologie Träumereien an französischen Kaminen und Felix Dahns historischer Roman Ein Kampf um Rom, gehörten neben Gesamtausgaben sowie dokumentierenden Periodika und Urtext-Ausgaben zum Verlagsprogramm.
Die Zusammenarbeit mit Komponisten seit Johann Sebastian Bach beinhaltete intensive Kontakte und Freundschaften, die über den Leipziger Kreis hinausreichen und in diesem Band besonders gewürdigt werden.
Thomas Frenzel ist bei aller Informations-, Fakten- und Materialfülle eine spannende und, was bei einer derartigen Ereignisdichte nicht verwundert, überraschungsreiche Kompilation gelungen. Artikel wie z.B. derjenige von Christine Blanken über die Beziehung zwischen der „Familie Bach zu den Breitkopfs“ oder eine aufschlussreiche „Chronik der Jahre 1933 bis 1945“ widmen sich Höhepunkten und Schattenseiten der Verlagsgeschichte. Sie wechseln sich ab mit Zeitdokumenten, die das sich wandelnde Image und Profil spiegeln. Es geht um Standorte und um die Philosophie des in kurzer Zeit zur ersten Verlagsdruckerei im deutschen Sprachraum aufgestiegenen Unternehmens, um Künstlerkontakte und die durch den Verlag mit Werkausgaben betriebene Promotion für Komponisten. Indirekt wird deutlich, welch großen Einfluss Breitkopf & Härtel auf die Entwicklung des musikalischen Standardrepertoires und schöngeistigen Bildungskanons nehmen konnte.
Die einzige minimale Beeinträchtigung des Vergnügens an dieser Verlags- und Kulturgeschichte ist, dass viele Reproduktionen des wertvollen Bildmaterials zwischen dem Funktionsstammbaum am Anfang und der Präsentation des neuen Corporate Designs zu klein geraten sind. Die faktenreiche Chronik dokumentiert auch die musikästhetische Entwicklung in Ost und West während der deutsch-deutschen Teilung und die Zeit nach der Wiedervereinigung mit der Zusammenführung der Sektionen in Wiesbaden und Leipzig. Einmal mehr geht es um Goethe, dessen erster Verleger Breitkopf & Härtel war.
Roland Dippel