Forner, Johannes
Brahms
Ursprünglich zum Jubiläumsjahr 1997 im Insel-Verlag erschienen, legt Johannes Forner seinen Brahms nun in einer leicht überarbeiteten Fassung vor. Der Autor, ehemaliger Chefdramaturg des Gewandhausorchesters und Professor an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater, ist (u. a. durch seine Publikation Johannes Brahms in Leipzig von 1987) ein ausgewiesener Brahms-Kenner und versteht sein Buch als Liebeserklärung an den Komponisten. Es handelt sich weder um eine Biografie noch um einen Werkführer vielmehr eine Mischung aus beiden, fokussiert auf die Sommeraufenthalte, in denen ein Großteil der Brahmsschen Werke entstand.
Dies mag zunächst alles andere als außergewöhnlich klingen, denn viele Komponisten waren wegen ihrer Verpflichtungen als Musiker auf die Ferienzeit im Sommer angewiesen, und so manche Lokalitäten, wie etwa Mahlers Komponierhäuschen in der Sommerfrische Maiernigg, sind geradezu legendär geworden. Aber für Brahms, der nur für wenige Jahre Ämter übernahm, die ihn an einen bestimmten Ort banden, bedeuteten die Sommeraufenthalte je bekannter er wurde, desto stärker die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit für ein paar Monate zu entziehen. Die landschaftlich reizvollen Orte wählte er mit Vorliebe so, dass er ungestört arbeiten konnte, zugleich aber einige Freunde und Bekannte in seiner Nähe hatte, wenn er das Bedürfnis nach Geselligkeit verspürte.
Der Bogen der Sommerdomizile, die Brahms zwischen 1861 und 1896 bezog, ist geografisch weit gespannt und umfasst ganz unterschiedliche Landschaftstypen, die von der Meeresküste über das Rheintal bis zur Bergwelt der Alpen reichen. Deutschland ist im Norden mit Hamm bzw. Blankenese bei Hamburg und Saßnitz auf Rügen, im Süden mit Wiesbaden und Ziegelhausen bei Heidelberg sowie mit Baden-Baden bzw. Lichtenthal vertreten, die Schweiz mit Rüschlikon bei Zürich sowie Hofstetten bei Thun und Österreich schließlich mit Pörtschach, Preßbaum bei Wien, Mürzzuschlag und Bad Ischl.
Das Buch wendet sich in erster Linie an Konzertgänger und Musikliebhaber, setzt aber doch gewisse Grundkenntnisse der Biografie und der wichtigsten Werke voraus. Forner skizziert in jedem Kapitel die biografische Situation sowie die Entstehungsgeschichte der betreffenden Werke Kompositionen, die im jeweiligen Sommer entweder neu entworfen oder aber zur Überarbeitung und Vollendung mitgebracht wurden und beschreibt deren Bedeutung und Eigenart. Er weiß sehr anschaulich, sogar fesselnd zu schreiben und stützt sich im Wesentlichen auf Kalbecks Biografie und die Erinnerungen von Zeitgenossen. Die Werkbeschreibungen sind gelegentlich allzu knapp ausgefallen (etwa bei den Choralvorspielen op. 122), einige Behauptungen sicherlich auch anfechtbar (findet sich in den Vier ernsten Gesängen wirklich keine Stelle des Trostes?), aber im Gegenzug finden sich immer wieder treffende und anregende Vergleiche und Überlegungen (etwa die Erörterungen zum Raumempfinden in der 3. Sinfonie). Ein Buch, das sein selbst gestecktes Ziel ein Lebensbild anhand einer Folge von Bildern zu liefern (S. 12) vollauf erfüllt.
Peter Jost