Bone Talks

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Finetone FTM 8030
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 77

Stilistische Vielseitigkeit gehört zum klassischen Musikbetrieb so selbstverständlich dazu, dass Einseitigkeit beinahe ein Alleinstellungsmerkmal geworden ist. Vielfalt ist aber nur dann problematisch, wenn sie beliebig wird und der ausführende Künstler sich selbst viel ernster nimmt als die Musik selbst. Diese Befürchtung muss man beim Posaunisten Henning Wiegräbe nicht haben, denn was er macht, das macht er richtig.
Der Stuttgarter Musikprofessor ist als ehemaliger Soloposaunist der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Ludwigshafen bestens mit dem gesamten sinfonischen Repertoire vertraut, hat sich zugleich aber in den vergangenen Jahren zum Spezialisten für Alte Musik entwickelt. Seine Diskografie umfasst mehrere Aufnahmen mit Renaissance- und Barockmusik, dabei aber keine zurechtgebogenen Bearbeitungen, sondern nur Einspielungen nach Originalquellen. Zu hören sind Werke von Gabrieli, Schütz, Buxtehude, Bassano und Rosenmüller, in denen die Posaune nicht immer eine solistische Rolle spielt.
Natürlich fehlen auch Posaunenquartette nicht, außerdem eine CD mit Wiegräbes Brass-Formation „City Brass Stuttgart“ (zusammengesetzt aus Kollegen und Studierenden). Kurios wiederum: eine Aufnahme mit französischer Musik für Posaune und Klavier.
Die neueste Einspielung führt den vielseitigen Posaunisten in noch ganz andere Bereiche: Mit dem „Peter Lehel Quartett“ hat er unter dem Titel Bone Talks eine ganze CD mit meist ruhigen, gediegenen Jazz-Improvisationen aufgenommen – keine Standards allerdings (bis auf Reflective mood von Sammy Nestico), sondern Kompositionen von Peter Lehel, der seinerseits öfter mit Orchestern und klassischen Besetzungen zusammenarbeitet und hier auch als Saxofonist in Erscheinung tritt.
Bone Talks ist trotz der Koppelung mehrerer Jazzstile kein Funken sprühendes Feuerwerk von Einfällen, sondern mehr zum Chillen vor dem Kamin geeignet, am besten mit einem schönen Glas Rotwein. Der butterweiche Klang von Wiegräbes Posaune, die bewusst defensiv gespielt wird, schmeichelt sich durch die 13 Titel und erwacht ab und an zu virtuosem Leben. Das ist keine Neuerfindung des Jazz, aber sehr entspannend und angenehm. Man darf Wiegräbe und dem Peter Lehel Quartett unterstellen, dass ihnen die Aufnahme viel Spaß bereitet hat. Das ist auch auf der CD noch zu hören.
Johannes Killyen