Maurice Ravel
Bolero
pour orchestre symphonique. Éditions révisées sous la direction de François Dru/Quentin Hindley (Version de 1928, Ballet en I Acte), Quentin Hindley (version de 1929, Concert) und Louis Langrée/Alain Pâris/Pascal Rophé (Comité de lecture), Ravel Edition vol. 1, Partitur
„Hilfe, ein Verrückter“, soll bekanntlich eine Dame gerufen haben, nachdem am 22. November 1928 die Uraufführung des als skandalös empfundenen Balletts mit dem Titel Bolero mit der Tänzerin, Bestellerin und Widmungsträgerin Ida Rubinstein beendet war. Seit der Aufführung der Orchesterversion ein Jahr später ist der Bolero, der sich nach dem Willen Ravels spanisch ohne Akzent schreibt, zum wohl berühmtesten Werk des 20. Jahrhunderts avanciert, gar zu einer „Marseillaise der modernen Konzerte“ geworden, so Manuel Cornejo im sehr ausführlichen, über 30-seitigen französisch-englischen Vorwort.
Nach 80 Jahren ist als Großprojekt nun der Band 1 der neuen, in Belgien herausgegebenen Edition Maurice Ravel erschienen. Die Herausgeber haben sich viel Mühe gegeben und warten mit einer Fülle von Informationen auf. Im spannenden Vorwort wird anhand von teils unveröffentlichten Briefen, Aussagen und Anmerkungen minutiös und mit viel Liebe die Entstehungsgeschichte geschildert – von der anfänglichen Idee, lediglich sechs Stücke von Isaac Albeniz zu orchestrieren, über den Werktitel (vom Fandango zum Bolero), die zahlreichen Aufführungen unter Leitung des Komponisten in Paris und Wien bis hin zur ersten Aufführung der Konzertversion in Amerika. Die ersten Schallplatteneinspielungen aus den 1930er Jahren werden aufgelistet, und auch die berühmte Toscanini-Affäre bleibt nicht unerwähnt. Den Texten sind zahlreiche, teils bislang unveröffentlichte Abbildungen beigegeben, zum Beispiel von der „Ida Rubinstein Ballet Company“ und dem Uraufführungsorchester, sowie Faksimiles von Briefen von Ravel an Rubinstein, von der Uraufführungsankündigung, der ersten gedruckten Partiturseite und der Cellostimme und von autografen Partiturseiten.
Im Kritischen Bericht finden sich Angaben zum Standort der Partitur – seit 1932 die Morgan Library in New York –, der in Privatbesitz befindlichen Bearbeitung für vier Hände und weiterer Dokumente mit genauen Beschreibungen, angereichert mit Abbildungen einzelner vergrößerter Details des Manuskripts von 1928, sowie eine Liste der Ballettaufführungen mit Ida Rubinstein. Die Unterschiede der beiden Versionen werden beschrieben und Fragen zu den Instrumentengruppen bis hin zu den einzelnen Instrumenten erörtert. Fehlen dürfen keineswegs die zahlreichen Korrekturangaben auf mehr als zehn Seiten. Es scheinen nunmehr kaum noch Fragen offen zu bleiben.
Als Herzstück der Ausgabe sind beide Versionen des Bolero abgedruckt: die Partitur des bislang unveröffentlicht gebliebenen Balletts von 1928 und nachfolgend die Orchesterversion von 1929, ersteres als Reinschrift, so wie Ravel sie niedergeschrieben hatte, letztere als vorzüglich zu lesender Druck nach der Erstausgabe, selbstverständlich verbessert laut den Korrekturen aus Ravels Hand.
Werner Bodendorf