Stefanie Stüber

Bochum: Klangwelten zwischen Ost und West

Bochumer Symphoniker bringen Donghoon Shins Doppelkonzert für Sheng, Akkordeon und Orchester zur Uraufführung

Rubrik: Bericht
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 59

In der Reihe „Bosy Fokus“ der Bochumer Symphoniker stand kürzlich die außergewöhnliche Uraufführung des koreanischen Komponisten Donghoon Shin auf dem Programm. Außergewöhnlich war der Abend in jeglicher Hinsicht. Allein die Orchestrierung, sein „Double-Act“ für Sheng, Akkordeon und Orchester, ist in der Literatur einzigartig. Für die Umsetzung konnte der international renommierte Sheng-Virtuose Wu Wei gewonnen werden. Ihm zur Seite stand Akkordeonist Pascal Contet, ebenfalls Meister seines Fachs.
Die Sheng ist eine Art Mundorgel und traditionelles, chinesisches Instrument, dessen Ursprung mehr als 3000 Jahre zurückliegt. Sie besteht aus einer Windkammer mit Schnabel sowie 37 Pfeifen. Diese waren früher aus Bambus gefertigt, heute werden Metallpfeifen verwendet. Und so kommt das ganze Instrument auf stolze 5 kg, nicht gerade ein Leichtgewicht, wird es doch beim Spielen aufrecht in den Händen gehalten. Der Ton kommt dabei sowohl durch das Einatmen wie durch das Ausatmen zustande. Wu Wei sagt dazu: „Man bläst hinein wie in den Tee, wenn er zu heiß ist – mit einem leichten Lächeln dabei.“ Eine poetische Umschreibung für die Klangerzeugung auf einem Instrument, das es durch seine Konstruktion erlaubt, Mehrklänge, Akkorde und kontrapunktische Abläufe zu spielen. Und das weiß Wu Wei genreübergreifend zu nutzen. Von der klassischen chinesischen Musik über Jazz und Elektronik bis hin zur Minimal- oder Barockmusik demonstriert er die Vielfältigkeit der Sheng und eröffnet ihr so ganz neue Einsatzmöglichkeiten im Konzertleben.
Das durfte auch das Bochumer Publikum erfahren, wenngleich so mancher zu Beginn vielleicht Zweifel hegte, wie das alles harmonisch zusammengehen würde. Doch diese wurden schon nach wenigen Augenblicken ausgeräumt. Der Klang der beiden Solo-Instrumente schien zwar gegensätzlich, verschmolz aber auch immer wieder zu einem faszinierenden Sound. Das 22-minütige Werk war dicht arrangiert und wirkte wie ein Theaterstück, ein vielstimmiger Dialog zwischen den beiden Solisten und dem Orchester, dem stellenweise in der Komposition die Rolle eines Imitators oder Echos zufiel. Die theatrale Form kam nicht von ungefähr. Donghoon Shin ließ sich von Manzai, einer japanischen Entsprechung der Stand-Up-Comedy inspirieren. Und so prägten eine gute Portion Ironie und Humor die Musik. Passagen freier Tonalität standen dabei in Kontrast zu melodiösen, fast tänzerischen Elementen.
Am Ende war das Publikum vollends eingenommen. GMD Tung-Chieh Chuang und seinem Team ist es zu verdanken, dass experimentelle Arbeiten, deren Ursprung in der östlichen Musiktradition zu verorten sind, in Bochum zur Aufführung kommen.
Vom Osten, diesmal dem orientalischen Teil, erzählte auch der zweite Part des Abends mit Nikolai A. Rimski-Korsakows sinfonischer Dichtung Scheherazade. Das Publikum konnte ein hervorragend aufgelegtes Orchester erleben. Konzertmeister Raphael Christ beeindruckte besonders mit seiner Interpretation des wundersamen Motivs, das die Figur der Märchen-Erzählerin Scheherazade versinnbildlicht. Seine Art zu spielen würde nicht nur einen Sultan besänftigen. Das Paradestück für Orchester, sehr gut auf den Punkt gearbeitet von Tung-Chieh Chuang, bot den Symphonikern die Möglichkeit, sich bestens zu präsentieren. Und selbst wenn die dramaturgische Gestaltung des Abends ungewöhnlich wirkte, das Konzept ging voll auf und das Publikum erlebte mit beiden Teilen eine klang-sinnliche Reise zwischen den Kontinenten und musikalischen Epochen.