Hans Joachim Köhler/ Ralf C. Müller
Blickkontakte mit Robert Schumann
Begegnungen im heutigen Dresden
War es seine (und Clara Schumanns) glücklichste Zeit? Von Ende 1844 bis zum Sommer 1850 lebte das Ehepaar Schumann in Dresden, jener verglichen mit Leipzig konservativ gesinnten Stadt, in der ein König residierte und andererseits, im Mai 1849, die bürgerliche Revolution einen ihrer Kulminationspunkte fand.
Im Herbst 1844 befand sich der manisch depressive Komponist in kritischem Zustand. Seine Frau notierte: „Robert schlief keine Nacht, seine Phantasie malte ihm die schrecklichsten Bilder aus, er gab sich gänzlich auf.“ Nachdem auch eine Harzreise keine Linderung gebracht hatte, beschloss Clara – nicht nur eine der größten Pianistinnen ihrer Zeit, sondern eine Frau von staunenerregender Entschlusskraft –, dass ein Tapetenwechsel ins nahe Dresden für sie, für ihn und für die stetig wachsende Familie die dringend nötige Aufhellung mit sich bringen würde. Und so geschah es: Robert begann wieder zu arbeiten und konnte am 23. Dezember in sein Haushaltsbuch eintragen: „Faust [i.e. die Komposition der Faust-Szenen] nach Kräften beendigt“. Wir, die wir Schumanns Musik lieben, können vermutlich kaum ermessen, welche Anstrengung sich hinter den Worten „nach Kräften“ verbirgt.
Auf höchst anschauliche Weise beleuchtet dieses Buch Schumanns produktive Dresdner Zeit. Hans Joachim Köhler – Herausgeber der Urtext-Edition des Schumann’schen Klavierœuvres und profunder Kenner von Werk und Vita – geht in seinem einfühlsamen Text die Wege Schumanns in Stadt und Umgebung nach. Er schildert die allmähliche Genesung des Hypersensiblen, er berichtet von erfolgreichen Uraufführungen, allen voran der des Klavierkonzerts am 4. Dezember 1845.
Schumann, gelegentlich als „Schweiger“ beschrieben, pflegte enge Kontakte zu Musikern, bildenden Künstlern und Intellektuellen, darunter Carl Gustav Carus, Wilhelmine Schröder-Devrient, Ludwig Richter, nicht zuletzt Richard Wagner. Zur inneren Befriedung Schumanns trug überdies seine Aussöhnung mit seinem Schwiegervater bei.
Doch Köhler lenkt den Blick auch auf dunkle Vorahnungen: Ferdinand Hiller, ein enger Vertrauter, ging 1847 als Musikdirektor nach Düsseldorf, betrachtete aber diese Stelle als Sprungbrett nach Köln und wollte sich für Schumann als Nachfolger verwenden. Hiller, so Köhler, „hätte wissen müssen, dass Schumann als Dirigent eine solche Aufgabe nur mit unerhörtem Kraftaufwand bewältigen würde“. Und vielleicht lässt sich, wie Köhler vermutet, eine tiefenpsychologische Linie ziehen von Schumanns Notizen über das Elbehochwasser 1845 zu seinem fatalen Sprung in den Rhein neun Jahre später?
Nach Blickkontakte mit Robert Schumann – Begegnungen im heutigen Leipzig (2014) sowie Robert Schumann auf den Spuren der Maler und Dichter – Bastei und Brocken (2018) legt Köhler hier gemeinsam mit dem Historiker Ralf C. Müller bereits den 3. Band einer Serie vor. Mit historischen und modernen Fotos reich ausgestattet, zeigt das eindrucksvolle, exquisit gefertigte Buch nicht zuletzt, welch tiefe Wunden die Zeitläufte in die Stadt an der Elbe geschlagen haben.
Gerhard Anders