Rainer Bunz
Blick zurück in eine große Zukunft
Der Dirigent Emil Kahn
Was für eine sorgfältige, akribische Recherche! Rainer Bunz, Autor von zahlreichen historischen Publikationen, hat sich mit Fachverstand und viel Sympathie für seinen Protagonisten der Biografie des Dirigenten Emil Kahn angenommen. Und ihn damit dem Vergessen entrissen. Von allen Seiten sachlich beleuchtet, erscheint uns Kahn dank Bunz heute wieder in seiner ganzen Persönlichkeit vor Augen.
Der kongeniale Titel Blick zurück in eine große Zukunft drückt das traurige Lebensdilemma Emil Kahns aus. Was wäre aus dem talentierten Maestro geworden, wenn er als Jude nicht vor den Nazis hätte fliehen müssen? In den USA hatte der Orchesterchef Mühe, seine Familie mit vier Kindern zu ernähren. Derweil rissen sich in Deutschland die Nazis das Vermögen seiner Familie unter den Nagel. Der gebürtige Frankfurter kämpfte um eine neue Existenz und um Anerkennung. Mit Energie gab er Unterricht, leitete Hochschul-Orchester und versuchte Anschluss an die Radioarbeit zu finden. Aber ein Neustart mit 40 Jahren war nicht leicht. Er musste noch einmal von unten anfangen, nachdem er in Deutschland in der Neuen Musik und den damals neuen Medien wie Rundfunk und Schallplatte eine steile Karriere hingelegt hatte. Kahn galt in der Weimarer Republik als Rundfunkpionier.
Rainer Bunz war im Zuge seiner Recherchen für die Biografie des ebenfalls vergessenen Dirigenten Frieder Weissmann zufällig auf Kahn gestoßen. Er fand aber kaum Informationen über ihn und war auf Zeitungen, Zeitschriften und Programmhefte angewiesen. Schließlich kontaktierte Bunz die Nachfahren und bekam Einsicht in Kahns privaten Nachlass. So ist aus Briefen, Fotos und anderen Dokumenten ein umfassendes Porträt des Musikers und Familienvaters entstanden. Eine Arbeit, die man nicht hoch genug einschätzen kann, stellt sie doch gleichzeitig ein Puzzlestück deutscher Geschichte dar.
Als Kahn nach dem Krieg vom Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart als Gastdirigent eingeladen wurde, war das für ihn eine Genugtuung. „Ein angemessener Ersatz für die Vernichtung der beruflichen Existenz, den Verlust von Besitz, Eigentum und Heimat durch Vertreibung außer Landes war es aber ebenso wenig wie für den Verlust der Mutter, die im Ghetto Theresienstadt in den Tod getrieben wurde“, schreibt Rainer Bunz.
Ein wenig irritierend sind im Buch die zahlreichen Fotos von Persönlichkeiten wie die des Anthroposophen Rudolf Steiner oder des Poeten Rabindranath Tagore, die zwar marginal erwähnt werden, die aber mit der Biografie Kahns nichts zu tun haben. Stattdessen hätten die wenigen Fotos aus Kahn Leben gerne etwas größer abgebildet werden können.
Christina Hein