Claudia Irle-Utsch

Blick auf die Endlichkeit

Montforter Zwischentöne laden unter dem Motto „Sehnsucht und Verwandlung“ ein

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 39

Am Ende ist Licht! Das ist eine Erkenntnis, die sich aus dem Konzertkonzept „end:licht“ formt, mit dem das Ensemble TRI:UTOPIE die Jury des Hugo 2022 überzeugte und auch tief berührte. Damit gewann das Ensemble den „Internationalen Wettbewerb für neue Konzertformate“ des Festivals Montforter Zwischentöne im österreichischen Feldkirch.
Nina Gurol (Orgel/Klavier), Magdalena Lorenz (Violine) und Louis Voelkel (Rezitation/
Electronics) konfrontieren sich und ihr Publikum mit diesem Programm sehr direkt mit der eigenen Vergänglichkeit. Sie stellen Fragen, die über das Hier und Jetzt hinausweisen, und verlangen nach unbedingter Ehrlichkeit. Mit der einen Geigenstimme, dem einen Sprecher, der stillen pianistischen Reflexion schaffen sie eine Atmosphäre, in der eine Seelenbespiegelung unausweichlich wird. Das trifft ins Mark, macht verletzlich, verletzt aber nicht, sondern birgt auch Trost: Der glimmende Docht in der begleitenden Videosequenz fängt dann doch wieder Feuer.
Die Jury des Wettbewerbs Hugo in Feldkirch – Frauke Bernds (Kölner Philharmonie), Anja Loosli (Schlosskonzerte Thun) und Peter Paul Kainrath (Klangforum Wien) – würdigten Anfang Juni beim Finale, dem Pitch, die starke Vorstellung dieses Trios der Hochschule für Musik und Tanz Köln und der Universität Potsdam. Das Publikum schloss sich dieser Entscheidung an, via App im Montforthaus selbst und zugeschaltet über einen Livestream im Netz. Dabei brachte das Online-Voting einen der Mitbewerber stimmenmäßig fast auf Augenhöhe: die Streicherinnen und Streicher des Ensembles inn.wien.ffm, die mit Musik von Samuel Barber und Richard Strauss sowie einem mehrfachen Perspektivwechsel einen eigenen, stillen, aber intensiven Sog entfachten.
Wer in diesem international angelegten Wettbewerb für neue Konzertformate zum entscheidenden Pitch eingeladen worden sei, habe ohnehin gewonnen, unterstrich Moderatorin Andrea Thilo. Sie würdigte damit im Verbund mit den Juror:innen auch die Beiträge des schweizerischen Kollektivs Klangluft und des Ensembles Frideswide von der Musikhochschule Trossingen. Auch diese hatten sich der Aufgabe gestellt, ein schlüssiges Konzept zum Bespielen des Doms St. Nikolaus in Feldkirch zu erarbeiten, wo am 25. November das beim Finale nur angeteaserte Sieger-Programm in voller, rund 70-minütiger Länge zu erleben sein wird. Damit fügt sich der Hugo-Preisträger ein in die Veranstaltungsreihe der Montforter Zwischentöne, die vom 1. bis 30. November das Jahresthema „Sehn­sucht und Verwandlung“ in ganz unterschiedlichen Facetten ausspielt.
Wieder setzt dabei das künstlerische Leitungsduo Hans-Joachim Gögl (Bregenz) und Folkert Uhde (Berlin) auf eine „Dramaturgie der Nähe“. Diese verbindet Musikschaffende aus der Region mit solchen aus ganz Europa – und das in einem Programm, das innovative Formate (weiter-)entwickelt. Übrigens auch mit Blick auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen wie Energie oder Zeit. So fungieren die Sängerinnen und Sänger der österreichischen „COM – Company of Music“ in diesem Jahr als „Musicians in Residence“ und sind in gleich mehreren Konzerten zu erleben: zur Festivaleröffnung am 1. November mit „Musikalischen Meditationen über die Endlichkeit“, bei Konzerten zum Sonnenaufgang (morgens zwischen 7 und 8 Uhr!), mit Alter und Neuer Musik zur Licht- und Schattenperformance der holländischen Künstlerin Roos van Haaften. Ein weiteres Highlight im Programm ist am 19. November die Begegnung mit Händels Oratorium Der Triumph von Zeit und Wahrheit. Die Montforter Zwischentöne enden am 30. November mit einem Adventskonzert mit dem Jazzpianisten Bugge Wesseltoft und der Schauspielerin Heidi Maria Glössner.
Auf das Motto „Sehnsucht und Verwandlung“ folgt im kommenden Jahr die Überschrift „Himmel und Hölle“ – als Auftrag und Herausforderung für das Festival und auch für den nächstjährigen Hugo. Der Pitch ist für den 23. März 2023 im Alten Hallenbad Feldkirch angesetzt. Diesem geht erneut ein mehrstufiges Verfahren mit gemeinsamem Workshop voraus. Denn der Anspruch von Gögl und Uhde ist durchaus ein pädagogischer und auch einer, der auf Vernetzung angelegt ist.
Längst gilt der Hugo als einer der wichtigsten Nachwuchspreise für innovative Aufführungspraxis im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr nahmen 50 Gruppen von 26 Hochschulen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. Dokumentiert ist der Hugo-Pitch 2022 im Netz; das Anschauen auf YouTube dient durchaus der Inspiration. Zu erleben ist, wie bei allem Ernst auch das Leben gefeiert wird.