Black Composers Series 1974–1978
Zurück in die 1970er. Damals schien es so, als sei der Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft zurückgedrängt. Eine Phase des „black pride“ beginnt, in der Nachkommen der Sklaven voll Stolz auf die kulturellen Leistungen ihrer Vorfahren verweisen. In dieser Atmosphäre startete der Dirigent Paul Freeman 1974 die Konzertreihe „Black Composers“. Partner waren unter anderem das London Symphony Orchestra, das Detroit Symphony Orchestra und das Helsinki Philharmonic Orchestra. Die Plattenfirma Columbia nahm vierundzwanzig Werke von fünfzehn Komponisten für eine neun Langspielplatten umfassende Reihe auf: ein Meilenstein der Anerkennung dunkelhäutiger Komponisten.
Doch schon in den 1990ern strich Columbia das Repertoire aus dem Katalog. Um es weiter zugänglich zu machen, sprang 2001/02 das Detroit Symphony Orchestra mit einer LP- und CD-Edition in die Bresche. Seit Januar 2019 ist wieder eine Columbia-Ausgabe erhältlich. Positiv: Die 6 Stunden und 42 Minuten dauernden Aufnahmen sind klanglich gut überarbeitet und kosten zwischen 25 und 30 Euro. Negativ: Das Booklet bietet nur wenige Informationen. Zudem sind die Texte auf den miniaturisierten LP-Covern selbst mit Lupe nur schwer zu lesen. Das ist lieblos.
Die zwei Jahrhunderte umspannende Auswahl umfasst vor allem Werke in der europäisch-amerikanischen Orchestertradition. Sie beginnt mit der Symphonie No. 1 (1779) und der Symphonie Concertante für zwei Violinen und Orchester (1778) von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges (1745–1799) – in beiden ist der Einfluss Wolfgang Amadeus Mozarts zu spüren. Wenig später brachte der brasilianische Priester und Komponist José Maurício Nunes Garcia (1767–1830) eine Requiem Mass (1817) heraus – ein üppiges, frühromantisches Chorwerk.
Der Rest ist moderner. Der Amerikaner William Grant Still (1895–1978) ist unter anderem mit seiner Afro-American Symphony (1930) und dem Ballett Sahdji (1930) vertreten: erstere ein Opus mit Anklängen an George Gershwin, letzteres eine Parallele zu Igor Strawinskys Le sacre du printemps mit afrikanischen Motiven. Daneben gibt es noch in der African Suite des Nigerianers Fela Sowande (1905–1987) und Adolphus Hailstorks (*1941) Celebration folkloristische Bezüge. Andererseits finden sich bei Thomas Jefferson Anderson (*1928) Bezüge zur atonalen Musik, und Olly Woodrow Wilson (1937–2018) integriert in Akwan (1972–1974) Elektronik ins neutönerische Geschehen.
Und Politik? Die bleibt weitgehend außen vor. Einzig Ulysses Kays (1917–1985) „Symphonic Essay“ Markings (1966) greift Tagespolitisches auf. In diesem aufwühlenden Werk zum Tod des UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld deuten Geigensirren und permanentes Rumoren die Gefahr an, in der Hammarskjöld 1961 bei seiner Friedensmission im Kongo schwebte, bevor sein Flugzeug abstürzte oder abgeschossen wurde. Selbst die Sehnsucht nach Freiheit und einem Ende des Rassismus wird nur in den Texten der als Zugabe zur Box beigefügten zehnten Disc mit Spirituals zitiert.
Werner Stiefele